Kegeln in Namibia

Mit der Ankündigung „Preiskegeln im Swakopmund Club, mit Kaffee & Kuchen“ empfängt mich Swakopmund, eine deutsch geprägte Kleinstadt an der Atlantikküste Namibias. Man sieht das allgegenwärtige Erbe der deutschen Kolonialgeschichte an der Architektur der Gebäude, den Straßennamen aber auch an den Veranstaltungen der sehr aktiven deutsch-namibischen Community. Sogar das oft nebelige, kalte Wetter erinnert mehr an die Ostsee als an eine afrikanische Küstenstadt.

Namibia, von 1884 bis 1915 Deutsch-Südwestafrika und nach dem ersten Weltkrieg Teil des britisch- burisch geprägten Apartheidsystems Südafrikas, ist ein karges, sehr dünn besiedeltes Land, das seine Unabhängigkeit erst 1990 erreichte.

Ähnlich wie aus den Unabhängigkeitsbestrebungen in den Nachbarländern Simbabwe oder in Südafrika entstand auch in Namibia aus der Gruppe der Freedom Fighters eine Einheitspartei, die seitdem den demokratischen Wettbewerb beherrscht. Anders aber als in Simbabwe, das mit seiner weißen Bevölkerung brach und dem langsam ausfasernden Traum der „Rainbow Nation“ in Südafrika ist in Namibia eine relativ stabile gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Transformation zu einem „Upper Middle Income Country“ gelungen.

Diese Entwicklung verdeutlicht der nationale Bericht zu den UN-Nachhaltigkeitszielen, der beispielsweise die Halbierung der extremen Armut von 21.9 % in 2004 auf 10.7 % in 2016 dokumentiert. In den letzten Jahren allerdings, seit dem stagnierenden Wirtschaftswachstum ab 2016, sind aber nur noch wenige Entwicklungsimpulse sichtbar. Vielmehr gibt es ein schleichendes Auseinanderdriften verschiedener Bevölkerungsgruppen, eine unverändert hohe Arbeitslosigkeit über 30 % und weiterhin eine der höchsten Einkommensungleichheiten weltweit.

Es besteht somit die Gefahr, dass über die wirtschaftliche Stagnation drei Bruchlinien aus dem Erbe der doppelten Kolonialgeschichte und der Staatsgründung als Nation sichtbarer werden.

Zum einen lebt auch nach der Unabhängigkeit eine kleine, heterogene aber wirtschaftlich starke Gruppe weißer Afrikaner*innen im Land (6 Prozent der Bevölkerung, davon rund ein Viertel deutschstämmig und rund die Hälfte burisch). Die Auseinandersetzung und Überwindung der Kolonialvergangenheit kann also in Namibia nicht oberflächlich durch eine an Hautfarben manifestierte Loslösung von externen ehemals dominanten Kräften geschehen. Vielmehr ist eine Situation entstanden, in der die politischen Eliten schwarz und die wirtschaftlichen Eliten weiß sind.

Zweitens ist Namibia ein künstlich entstandener Staat vieler verschiedener Ethnien. Es wird zwar versucht das Nationalgefühl durch verschiedene integrierende Initiativen wie „Team Namibia“ zu stärken, dennoch ist „Tribalism“ und seine Skepsis vor allem auch unter den verschiedenen schwarzen Gruppen sehr verbreitet. Die Komplexität der Zusammenführung als Nation wird schon dadurch deutlich, dass die Amtssprache Englisch von keiner Bevölkerungsgruppe muttersprachlich gesprochen wird. Das Konfliktpotential zwischen den Ethnien wird beispielsweise auch an der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und dem Völkermord der deutschen Schutztruppen zu Beginn des 20 Jh an den Herero und Nama deutlich. Während die offiziellen Verhandlungen für eine Kompensation zwischen den Regierungen Deutschlands und Namibias geführt werden, fühlen sich die Vertreter*innen der Herero und Nama von der eigenen namibischen Regierung (mehrheitlich Ovambo) nicht ausreichend vertreten.

Drittens bleibt in Namibia das institutionelle Erbe des südafrikanischen Apartheidregimes zu überwinden. So ist die bewusste physische Segregation zwischen den meist weißen Villenvierteln und den schwarzen Slums trotz gradueller Vermischung erhalten geblieben. Dazu befindet sich der größte Teil des Landes in Privatbesitz und der Versuch von Landreformen der Regierung das Land fairer zu verteilen hat mehrheitlich lediglich zu einer Umverteilung von reichen Weißen an reiche Schwarze geführt und wenig an den Realitäten der armen Bevölkerungsschichten verbessert. Eine wirksame Maßnahme zur Reduzierung der großen wirtschaftlichen Ungleichheit ist bisher nicht sichtbar.

Diese drei Herausforderungen definieren eine Herkulesaufgabe, um mit maßvollen Gesetzen den Spagat zwischen Demokratie und der Bewahrung von Rechtsstaatlichkeit auf der einen Seite und der notwendigen Angleichung und Verbesserung der wirtschaftlichen Realitäten auf der anderen Seite voranzutreiben. Einen Spagat also zwischen der moralischen Notwendigkeit, das Land fairer zu gestalten, ohne dazu unfaire Mittel einzusetzen und den fragilen Wohlstand des Landes durch Instabilitäten zu gefährden. Chancengleichheit zu schaffen, ohne bestehende Chancen zu nehmen.

Der Ansatz für die Zukunft muss meiner Ansicht nach daraus bestehen, das historische Erbe und seine Wirkungen anzunehmen, ohne dabei die Zukunft für junge Namibier*innen damit zu gefährden, in sich wiederholenden und manchmal gefühlt auch Ersatzdiskussionen über die Kolonialvergangenheit gefangen zu bleiben. Daher müssen wirksame und zukunftsgerichtete Versuche unternommen werden, Chancengleichheit für alle Namibier*innen herzustellen.

Der Schlüssel für diese Chancengleichheit ist gute Bildung. Trotz vielversprechender Ansätze scheint dies noch nicht zu gelingen. Auf den wenigen namibischen Universitäten sieht man wenn nur weiße europäische Austauschstudent*innen. Die meisten weißen Namibier schicken ihre Kinder weiterhin zum Studieren nach Südafrika und vorher auf teure Privatschulen. Durch einen Ausbau des Bildungssektors in der Fläche und in der Qualität würde zum einen die allgemeine Chancengleichheit erhöht werden, zum anderen ein gemeinsames Lernen der nächsten Generation stattfinden und nicht zuletzt eine qualifizierte englischsprachige Arbeitnehmerschaft gebildet werden, die ausländische Investitionen verstärkt motiviert und absorbieren kann

Um diesen notwendigen Ausbau der Bildungslandschaft zu finanzieren erscheint es mir gerechtfertigt, partizipativ maßvolle Regelungen zu finden, die der großen ökonomischen Ungleichheit Rechnung tragen. Langfristig würden so von einer weiterhin stabilen, friedlichen Weiterentwicklung des Landes alle Bürger*innen profitieren.

Ein Gastbeitrag von Vincent