Als im Jahre 793 der erste bekannte Wikingerüberfall auf das Kloster Lindisfarne in Nordengland eine Epoche von Krieg und Chaos für die angelsächsischen Königtümer auslöste kann man mit einiger Sicherheit aussagen, dass die Völker Britanniens diese plündernden und brandschatzenden Nordmänner sicherlich nicht als Hüter von Recht und Ordnung und Beschützer derjenigen, die sich nicht selbst helfen konnten, ansahen. Auch das Zeitalter, in dem Wodan, Donar und Konsorten da verehrt wurden, wo heute die Bundesrepublik Deutschland ihr Staatsgebiet hat, geht sicherlich nicht als das des zivilisierten Miteinanders und der Ordnung in die Geschichte ein.
Es ist nun fraglich, wie sinnhaft es ist, dass einige rassistische, nationalistische Bewegungen gerade in Europa versuchen, sich diese Religion und diesen ausgestorbenen Kulturkreis bei der Schaffung von Organisationen der „Nachbarschaftshilfe“ mit ebendiesem Zweck auf die Fahnen zu schreiben.
Spätestens seit Geschehnissen der Kölner Silvesternacht ist deutschlandweit ein verstärktes Aufkeimen von Bürger*innenwehren festzustellen. Bayern und insbesondere München stellt hierbei bedauerlicherweise keine Ausnahme dar.
Betrachten wir nun einige dieser Bewegungen in der Retrospektive, müssen wir mit der Mutter der nordisch angehauchten Selbstjustiz beginnen: Den sogenannten „Soldiers of Odin“. Dieser spezielle Verein ist allerdings kein deutsches Gewächs; er wurde im Oktober 2015 in Finnland gegründet. Der Gründer der Gruppe, Mika Ranta, ein bekennender Neonazi, vertritt die interessante Ansicht, dass seine eigenen politischen Bekenntnisse sich nicht in der Ideologie seiner Gruppe widerspiegeln, und dass die Gruppe als „unpolitische Nachbarschaftshilfe“ gegründet wurde.
Im Zuge der Silvesternacht 2015/16 schwappte diese Gruppe in die Welt, von Kanada bis Australien gründeten sich Chapter. In Deutschland etablierte sich die Gruppe schnell in Franken, vor allem in Würzburg und Nürnberg. In München wurde die einzige Aktion, wie alle anderen „Spaziergang“ genannt, am 20.01.2018 in der Nähe des Hauptbahnhofes schnell von der Polizei umstellt und wegen des Verstoßes gegen das Uniformverbot aufgelöst.
Diese Bewegung ist leider nur der Anfang. Denn was mögen Faschist*innen noch weniger als alles andere? Andere Faschist*innen natürlich. Im letzten Jahr spaltete sich die Gruppe und ging in einer anderen auf, auf die ich nun einen ganz besonderen Fokus legen möchte: „Wodans Erben Germanien“ (WEG). Am 21.06.2018 verließen diese strammen Patrioten das neuheidnische Nest der Soldiers of Odin, da (Zitat ihrer Facebookseite) „außer großen Reden, Intrigen, Machtspielen und Verrat an den eigenen Leuten in der Bruderschaft [Soldiers of Odin, Anm. d. Verf.] nichts mehr stattfand.“ Ferner bezeichnet sich die Gruppe als „Bruderschaft alter germanischer Solidarität“ die gegründet wurde um allen „Bedürftigen und Benachteiligten, sowohl Menschen als auch Tieren“ zu helfen. Politisch seien sie „neutral“. Klingt doch toll, oder? Es dürfte den geneigten Leser nicht überraschen, dass der Punkt der großen Hilfsbereitschaft, vor allem aber das Bekenntnis zur politischen Neutralität durchaus fragwürdig ist. Die Struktur ist simpel: Jedes Bundesland bekommt konsequent eine eigene „Division“ (Bezeichnung für einen militärischen Großverband, Anm. d. Verf.) aufgedrückt, deren Facebookgruppen dann das übliche rassistische, faschistische Shitposting betreiben. Die Facebookseite der „Division Bayern“ ist allerdings mittlerweile gelöscht worden. Warum? Nun, selbst Facebook mit seiner doch relativ großen Toleranz für rechtsextreme Inhalte hatte doch irgendwann die Nase voll- oder vielleicht war die Angst der Betreiber ob der Überwachung durch den Verfassungsschutz dann doch zu groß? Die Division Bayern der Soldiers of Odin postete im März letzten Jahres noch fröhlich die „Schwarze Sonne“, ein beliebtes NS-Symbol das unter anderem auch das Turmzimmer der westfälischen Wewelsburg, einer von Himmler auserkorenen „Ordensburg der Waffen-SS“ schmückt und zahlreiche Si(e)grunen und Hakenkreuze enthält.
Auch wenn der Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz des letzten Jahres die Soldiers und WEG immer noch als Einheit ansah, sind Letztere im Verlaufe dieses Jahres durch einige eigenständige, besorgniserregende Aktionen im Raum München aufgefallen. Am 26. Januar dieses Jahres patrouillierten sie (wenn auch recht ereignislos und ohne Einschreiten der Staatsgewalt) durchs Tal. Offensichtlich ermuntert von diesem proklamierten „großen Erfolg“, der die Innenstadt von München sicherlich um einiges sicherer gemacht hat, holten die freundlichen Faschist*innen von nebenan zum ersten großen Schlag aus: am 09.02. patrouillierten sie in Moosach, nicht ohne der dort ansässigen Asylbewerberunterkunft einen „Besuch“ abzustatten. In der Tat marschierte die Gruppe aus 20 „Beschützern des Vaterlandes“ schnurstracks auf das Gelände und in die Unterkunft ein, wie ein YouTube-Video, passenderweise mit dem „Imperial March“ aus Star Wars und der Titelmusik von „Das Boot“ hinterlegt, zeigt (Suchwort auf Youtube: Wodans in München). Laut dem Personal der Unterkunft gab sich die Gruppe offensichtlich damit zufrieden, den dort aufgenommenen Flüchtlingen durch Lärm und Gewaltandrohungen Angst zu machen. Da sowohl Personal als auch Bewohner zu viel Angst hatten, riefen sie nicht die Polizei. Nun wird dennoch gegen einige identifizierbare Teilnehmer wegen Hausfriedensbruchs ermittelt.
Das Sahnehäubchen auf dem Gülleeimer faschistischer Agitation ergab sich aber zwei Wochen später, diesmal in Nürnberg. Nachdem sie mit ihren Fackeln die Asylbewerberunterkunft in den „Grundig Towers“ aufgesucht hatten, marschierten die Vertreter der NPD und die Abteilungen von WEG aus Nürnberg und München zum ehemaligen Reichsparteitagsgelände, um dort eine kleine Zurschaustellung ihrer Macht und ihrer großen patriotischen Hingabe abzugeben. Wer sich das übelkeiterregende Ereignis gern selbst anschauen möchte, sollte den YouTube-Kanal „Patrioten TV Nürnberg“ besuchen. Vor eventuellen seelischen Verletzungen und Verletzungen der Deutschen Rechtschreibung wird hier in aller Form gewarnt. Es ist ebenso amüsant wie bestürzend, dass auch ein junges Mitglied der CSU an der Aktion beteiligt war, auch wenn der 22-Jährige mittlerweile nach einigen Querelen aus der Partei ausgeschlossen wurde und dies bis zum 02.07. gedauert hat.
Strafrechtliche Konsequenzen? Fehlanzeige. Die Staatsanwaltschaft in Nürnberg sah das notwendige „provokante Verhalten“ an dem historisch vorbelasteten Ort nicht gegeben. Eine Verschärfung der Vorschriften und Kontrolle des Geländes lehnte die Stadtregierung als „nicht durchführbar“ ab.
Auch dies ist noch nicht das heißersehnte Ende der deutlich zu langen Fahnenstange. Am 09.03. findet sich die Gruppe, ebenfalls unter Hinzunahme von NPD-Führungskräften, PEGIDA-Anhängern und rechtsextremen Gelbwestenträgern im Bogenhausener Wirtshaus „Schlösselgarten“ ein. Wie der Wirt dem BR-Magazin „quer“ berichtete, war er darüber nicht informiert und offensichtlich schwer geschockt und erteilte lobenswerterweise nach der Veranstaltung sofortiges Hausverbot. Nach einem „Geschäftsessen“ marschierten die freundlichen Faschist*innen von nebenan zur Odinsstatue in der lokalen Kleingartenanlage, um dort erneut ein kleines Propagandafilmchen zu drehen, während sie außenstehende, die den Ort fotografieren wollten, bedrohten und angingen. Der sehr interessante Beitrag ist in der Mediathek des BR einsehbar (Titel: Bürger gegen rechtsextreme „Bürgerwehren“).
Just als die Gruppe ihre Inszenierung abschloss, wurde sie auch schon von der Polizei gestellt. Der Grund: Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Eine nette Anzeige gegen alle Beteiligten.
Dies bringt uns auch gleich zu einer Schwierigkeit des Vorgehens gegen die selbsternannte „Bürgerwehr“: auch wenn sie mittlerweile unter der Beobachtung des Landesamtes für Verfassungsschutz stehen sind die meisten ihrer Einzelaktionen nicht direkt illegal. Neben dem oben angesprochenen Delikt besteht lediglich die Möglichkeit, über das Uniformierungsverbot gegen sie vorzugehen. Bayern hat, bedauerlicherweise, ein eigenes Versammlungsgesetz, welches das Verbot von Uniformen zum Ausdruck politischer Gesinnung nur verbietet, „sofern dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht“.
Seit der (wahrscheinlich für alle Beteiligten sehr teuren) Veranstaltung in Bogenhausen ist es etwas stiller geworden um Wodans Erben. Die letzte Aktion fand am 29.06. statt, oder sollte viel mehr stattfinden. Zehn Personen in den typischen schwarzen und bedruckten Hoodies marschierten, „patrouillierten“, vor der Synagoge auf dem Jakobsplatz. Laut der SZ führte die Polizei sofort nach Sichtkontakt eine „intensive Personenkontrolle“ durch. Auch wenn noch keine Ergebnisse der Einzelfallprüfungen auf Straftaten vorliegen, wurde die Aktion jedenfalls effektiv unterbrochen.
Doch auch der Münchner Polizei ist hier nicht nur Lob zu singen. Anfang des Jahres 2016 setzte sich das Polizeipräsidium München mit Nachdruck für die Aufstellung einer ehrenamtlichen „Sicherheitswacht“ ein, die der Polizei gerade in den Wohnvierteln Arbeit abnehmen sollte. Diese Ehrenamtler*innen sollten nach 40 Stunden Ausbildung also auf die Straßen Münchens losgelassen werden, auch wenn sie selbst zu nicht viel mehr als dem Notruf an die Polizei berechtigt gewesen wären. Es ist aus Sicht des Verfassers nur gut und richtig, dass der Stadtrat dies abgelehnt hat, da es relativ klar ist, welches Klientel diese „Sicherheitswacht“ angezogen hätte- nämlich genau jenes, um welches es in diesem Artikel geht.
Geht nun also eine große Gefahr von WEG aus? Das ist eine gute Frage. Nach einem Gespräch mit dem Leiter der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in München (firm), Marcus Buschmüller, fällt vor allem wieder das Problem auf, dass man mit den Mitteln des Rechtsstaates im Moment nicht viel gegen diese Subjekte unternehmen kann. Die Gruppe hat ein Personenpotenzial von 18 (wer Ironie findet möge sie behalten) Personen, ist also alles in allem recht überschaubar. Jedoch ist eine weitere, in vieler Hinsicht bedrohlichere Gruppierung zu beleuchten, auch wenn ihre Aktionen unserer Stadt nicht näher als Straubing gekommen sind.
Die Rede ist von der „Vikings Security Germania“, ebenfalls wieder mit einer bayrischen Division (zum Vergleich: Die Bundeswehr verfügt über drei Divisionen), die einen sehr interessanten Ursprung hat.
Wer sich noch an die „Ibiza-Affäre“ erinnert, wird sich sicherlich auch noch an einen bebrillten Giftzwerg namens Herbert Kickl erinnern. Dieser Giftzwerg, damals Innenminister, und seine Partei äußerten sich mit Wohlwollen zu der Idee, Bürger*innenwehren in Österreich aufzustellen, und wurden prompt mit einer belohnt: die Vikings Security Austria. Wie sooft schwappte auch hier wieder etwas Braunes nach Deutschland, ironischerweise wieder aus Linz. Im Moment ist diese Bewegung wie die anderen auch mit Streifengängen in Nürnberg, Straubing und Landshut aufgefallen, es ist aber wahrscheinlich, dass sie entweder mit WEG kooperieren oder ihnen den Boden streitig machen wird. Das Mobilisierungspotenzial dieser Bewegung dürfte um einiges größer sein als das der heimischen Gewächse.
Da stellen wir uns mal ganz dumm, um die Feuerzangenbowle zu zitieren, und fragen: Wo ist das Problem, wenn ein Haufen unterbelichteter Freizeitnazis durch München marschiert? Noch haben sie niemandem wehgetan, und eine ernstliche Bedrohung sind sie im jetzigen Zustand auch für niemanden. Das ganze klingt doch eher amüsant als bedenklich!
Falsch. Denn mit jedem Streifzug, den diese Damen und Herren durch München oder irgendeine andere Stadt unternehmen, realisieren sie ihre eigene Agenda: die Unterwanderung unseres Rechtsstaates und die Suggestion, in Deutschland sei es nicht sicher und nur die Nationalist*innen könnten den „nötigen Schutz“ gewähren, den es braucht, damit man hier gut und sicher leben kann. Besonders offensichtlich wird das wenn man eine Aktion der Soldiers of Odin in Würzburg im Januar letzten Jahres beleuchtet. Die Soldaten des einäugigen Allvaters, der übrigens in der Mythologie ironischerweise eine sehr liberale Einstellung zu Vergewaltigungen hat, marschierten vor der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof Würzburg auf und spendete eine nicht unwesentliche Menge Brötchen an die Einrichtung, deren Mitarbeiter die Gruppierung nicht kannten und diese sicherlich sehr „selbstlose Spende“ dankend annahmen. Als die Leitung der Mission über die Bewegung aufgeklärt wurde und daraufhin eine kurz darauf erfolgende zweite Spende verweigerte, erntete sie einen Shitstorm sondergleichen seitens der NPD, der Soldiers selbst und vieler anderer rechter Blogs und Facebookseiten. Hier zeigt sich: „Wir sind so lange nett, wie wir uns als die großen Helfer gerieren können. Seid ihr aber gegen uns, nutzen wir die Methodik des banalsten Internettrolls.“ Es gilt hier also, dieser Suggestion und den Schritten der Bewegungen, seien sie staatlich gewollt wie in Österreich oder Gewächse internationaler und nationaler faschistischer Bewegungen wie hier in Deutschland durch Argumentation und Gegenbeweis mit fester Hand entgegenzutreten und diese Leute als das zu entlarven was sie sind: Menschenfänger einer brutalen, rassistischen und illiberalen Ideologie, die in der Geschichte der Menschheit und besonders Deutschlands Millionen und Abermillionen Leben gefordert hat.
Es bleibt also zu sagen, dass die Situation in München trotz vieler komisch anmutender Aktionen der Bewegungen sicherlich die angemessene Besorgnis erregen sollte. Gerade die Aktion am Jakobsplatz zeigt deutlich, wes Geistes Kind die Bürger*innenwehr in München ist, und wie deren Aktionen immer dreister werden. Es ist also an allen drei Gewalten des Staates, Wodan, Odin oder wie auch immer ihn seine Jünger schimpfen mögen wieder in die ihm angestammte Versenkung zu verdammen. Bis dies geschieht ist es Pflicht eines jeden Bürgers, diesen staats- und demokratiefeindlichen Elementen aufs entschiedenste entgegenzutreten. Es bleibt weiter fraglich, inwiefern diese Bürger*innenwehren in Zukunft die Bevölkerung Münchens und Bayerns mobilisieren können. Auf die eingangs gestellte Frage nach dem Sinn der Benennung konnte uns jedenfalls keiner eine Antwort geben.
Ein Beitrag von Matthias