Verschwörungstheorien – deine Wirklichkeit zum selber machen

Verschwörungstheorien – deine Wirklichkeit zum selber machen

Ok, das hier soll ein Artikel sein, der erklärt warum Verschwörungstheorien so verfänglich sind. Ich denke das viele Erklärungsansätze schon oft genug gesagt wurden. Die Leute sind ungebildet und verstehen Grundlagen von wissenschaftlichem Arbeiten einfach nicht. Die Leute verstehen moderne Komplexitäten nicht und suchen sich einfache, personalisierte Antworten, in denen eine boshafte „Elite“ einfach nur aufgrund ihrer Boshaftigkeit alles Böse in die Welt setzt. Die Leute wollen die Dilemmata ihrer eigenen Rolle in der Gesellschaft nicht hinterfragen und erfinden deswegen eine andere Welt, die ihnen ihr selbst bestätigt.

Keine dieser Erklärungen ist falsch. Sie gehören alle irgendwie zu der Suppe von Gründen, die Menschen zur Verschwörungsideologie bewegen. Auch ist es richtig, dass die modernen Wege der Kommunikation es für Verschwörungstheoretiker*innen sehr viel einfacher machen sich auszutauschen, was das enorme Anwachsen in den letzten Jahren mit begünstigt.

Trotzdem gibt es zwei wichtige Aspekte, die fast immer vergessen werden und es ist dringend wichtig, die auch zu betonen: Wilde Spekulationen machen Spaß UND das essentialistische Verständnis der Wirklichkeit ist ein Unterdrückungsinstrument.

Wer will, dass Zucker (k)ein Gewürz ist?

Man stelle sich folgende Szene vor: Eine illustre Runde von Personen sitzt um einen Biertisch. Plötzlich stellt eine der Anwesenden die folgende Frage: „Ist Zucker eigentlich ein Gewürz?“ Diese Frage mag nicht die weltbewegendste und wichtigste sein, aber daraus kann sich problemlos eine halbe Stunde an hitziger Diskussion entfalten, in der Leute unterschiedliche Definitionen von “Gewürz“ vorstellen, um zu klären ob Zucker dazu gehört oder nicht. Es mag manche Leute geben für die Zucker einfach ideologisch ein Gewürz ist und immer schon war, aber auch andere, die niemals akzeptieren werden das Zucker ins gleiche Regal wie Oregano und Thymian gehört.

Diese Diskussion ist vorbei, sobald jemand auf seinem Smartphone die Wikipedia aufmacht und die kulinarisch richtige Definition vorliest. Die Autorität von Wikipedia kommt hereingestürmt und verkündet ihre essenzielle Wahrheit über die Natur des Zuckers. Alle Diskussionen haben sich danach erübrigt. Man kann höchstens noch fragen: „Und was ist mit Vanille?“ Auch hierzu hat Wikipedia die ultimative Wahrheit parat.

Dabei macht es Sinn diese Definitionen zu hinterfragen. Das Wort Gewürz ist schließlich eine Erfindung der Menschen und nichts Naturgegebenes. Warum haben die in der Wikipedia zitierten Botaniker*innen und kulinarischen Expert*innen das Recht festzulegen, was Anika von der Straße nebenan als Gewürz empfindet. Und warum machen, die das so? Warum nicht anders? Wer will, dass Zucker (k)ein Gewürz ist?

Die Diskussion über den Zucker ist zugegeben eine verniedlichte – weit abseits von den fürchterlichen Verschwörungsthesen, die Leute dazu bringen eine Synagoge anzugreifen. Aber es zeigt damit ein riesiges Problem wie und welches Wissen uns über das Internet verfügbar ist und wie es in Diskussionen verwendet wird.

Die Wahrheit

Wer glaubt, dass Verschwörungsideolog*innen einfach nur ihren Idolen, wie Ken Jebsen und Attila Hildmann nachplappern, verkennt die politische Kultur, die rund um diese Leute entstanden ist, massiv. Die Reichweite dieser Leute wäre nicht ansatzweise so groß, wenn sie sich all das selbst ausdenken würden.Die Flussrichtung der Behauptungen, Fantasien und Ideen läuft genau anders herum. In WhatsApp-Gruppen und Foren findet ein dynamischer Diskursprozess statt, indem Ideen willkürlich an die Wand geklatscht, modifiziert, erweitert und umformuliert werden. Die Rolle von Ken Jebsen und anderen besteht lediglich darin, die „Besten“ der ersponnenen Theorien zu sammeln, zu kanonisieren und ihnen den Anstrich der Legitimität zu verleihen.

Die Leute plappern nicht nach was Ken Jebsen ihnen sagt, sondern Ken Jebsen bestätigt ihnen das, was sie sich ausgedacht haben.

Das soll nicht heißen, dass viele Verschwörungstheorien nicht auch ein zu tiefst autoritäres Weltbild wiedergeben, aber es ist ziemlich offensichtlich nachvollziehbar, warum dieser Diskurs für viele Leute sehr viel ansprechender ist, als der der allgemeinen Öffentlichkeit, wo eine falsche oder spekulative Aussage mit Augendrehen, dem halbherzigen posten eines nichtssagenden Zeitungsartikels und dem Kommentar: „Nein, du liegst falsch!“ beantwortet wird.

So schwer es fällt das zuzugeben, aber die Verschwörungsideolog*innen haben recht, wenn sie den Anhänger*innen des Wissenschaftlichen und Journalistischen Mainstreams vorwerfen, dass diese unkritisch und unhinterfragt nachplappern was institutionalisierte Wissensautoritäten ihnen sagen. Und dass Missverständnisse, Wissenslücken und doofe Nachfragen stark geächtet werden. Man darf tatsächlich nichts (falsches) mehr sagen, außer man findet sich eine Community, die einem den Rücken stärkt und alles falsche, dass man von sich gibt, bestätigt.    

Das Problem

Wissenschaftsjournalist*innen, Zeitungen und Fernsehsender haben es über Jahrzehnte als ihre Aufgabe verstanden, die Ergebnisse von Studien und Wissenschaftler*innen auf zu hübschen und raus zu blasen. In endlosen Dokumentationen fliegen bunte Animationen von Atomen herum, ohne das überhaupt erklärt wird, warum man annimmt, dass sie so aussehen (SPOILER: Man nimmt nicht an, dass sie so aussehen.) Durch historische Dokus laufen Schauspieler*innen in nachgestellten Römeruniformen ohne dass erklärt wird, warum man annimmt, dass Römeruniformen so aussahen (SPOILER: Man nimmt nicht an, dass sie so aussahen.) Diese Römer*innen nehmen dann an irgendwelchen großen Schlachten teil ohne dass erklärt wird, warum man überhaupt annimmt, dass diese Schlachten so stattgefunden haben (SPOILER: Die meisten Quellen sind römische Propaganda und werden von Historiker*innen zumindest angezweifelt.)

Das klassische Verständnis von Journalismus hat es komplett verabsäumt, zu erkennen, dass die Menschen der Gegenwart nicht mehr nur nach roher Information suchen, sondern wissen wollen wie diese Informationen zustande kommen.

Das hat es Verschwörungstheoretiker*innen sehr leicht gemacht diese Lücke mit der amateurhaften Anwendung von (pseudo-)wissenschaftlichen Methoden zu füllen und ihre eigene Gegenrealität aufzubauen.

Die Lösung

Zum Glück zeichnet sich langsam ein effektives Gegeninstrument auf, nämlich genau das zu tun was klassische Medien versäumt haben. Es sind vielfach YouTuber*innen und Influencer*innen, die sich daran machen gemacht haben, Methoden zu erklären und die Behauptungen von Verschwörungstheoretiker*innen detailliert zu zerpflücken. Im englischsprachigen Raum hat die BreadTube-Bewegung Arbeit darin geleistet den rechten Verschwörungsanhänger*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen. In Deutschland ist hierbei vor allem die YouTuberin Mai Thi Nguyen-Kim zu nennen, die auf einsamen Posten gegen den alltäglichen Gwuscht von antiwissenschaftlichem Wahn ankämpft.

Aber Mai Thi Nguyen-Kims Möglichkeiten sind begrenzt. Sie ist alleine, vor allem aber ist sie keine Sozialwissenschaftlerin, die gerade dringend gebraucht wäre. Leider scheinen die meisten deutschsprachigen Sozialwissenschaftler*innen damit beschäftigt zu sein, in der Zeitung nachzulesen wie schlimm das alles mit diesen Verschwörungstheoretiker*innen ist.

Ein Beitrag von Tim