I) Einleitung
Europa verändert sich fortlaufend. Unsere Antworten auf die Probleme unserer Zeit müssen sich diesem Wandel anpassen. Wir dürfen dabei aber nicht unser Ziel aus den Augen verlieren: Ein freies, gerechtes, solidarisches Europa. Die europäische Idee sieht sich wie nie zuvor existenziellen Anfeindungen ausgesetzt. Rassismus und Nationalismus bedrohen unsere europäische Einheit. Die Banken sind gerettet, der Zwang zur Sparpolitik führt aber noch immer Elend für die Menschen mit sich. Der drohende Brexit und ein bewaffneter Konflikt an der Ostgrenze erschüttern unseren Kontinent. Die Migrationsbewegungen sind zu einer der wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen der Politik geworden und haben unsere Gesellschaft entzweit. Wir Sozialist*innen sind deshalb gerade besonders in der Pflicht, Europa zu verteidigen – als die einzige Kraft in Europa, die schon immer voller Mut und Überzeugung für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft hat. Nur gemeinsam mit unseren europäischen Schwesterparteien können wir unsere europäische Idee wieder anpacken, nämlich für ein freies, gerechtes und solidarisches Europa zu kämpfen.
II) Das Europa der Zukunft
Europa braucht eine neue Ausrichtung. Wir haben eine Vision und wir schreiten auf diesem Weg mutig voran, um die Vereinigten Staaten von Europa zu realisieren.
1) Demokratie
Das Demokratieverständnis innerhalb der EU ist noch sehr ausbaufähig. Eine demokratische Europäische Union muss dafür Sorge tragen, dass ihre Strukturen sich so verändern, dass die Menschen in Europa wieder über Wahlen und andere Beteiligungsformate der Politik spürbar eine Richtung geben. Wir sehen mit Sorge, dass sich seit der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009 mehr und mehr europäische Strukturen gebildet haben, die keinerlei demokratischer Kontrolle unterliegen. Die einzelnen Mitgliedstaaten versuchten in den vergangenen Jahren zunehmend, ihre Eigeninteressen durchzusetzen, vor allem bei der Eurorettung und der Migrationspolitik.
Die Etablierung neuer, von demokratischer Legitimation losgelöster Politikstrukturen wie der Troika haben die europäische Demokratie nachhaltig erschüttert. Auch die über die letzten Jahrzehnte etablierten Agenturstrukturen, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen, obwohl sie als handlungsmächtige Akteurinnen innerhalb der Europäischen Union wirken (siehe bspw. Frontex), entspricht nicht unseren Vorstellung einer demokratisch ausgestalteten Union. Eine solche EU ist nicht unsere EU. Für uns müssen die demokratischen Errungenschaften, die in den einzelnen Ländern über Jahrhunderte erkämpft werden mussten, auch auf überstaatlicher Ebene gelten
a) Parlament
Das Parlament ist die Vertretung und Stimme des Volkes. Ein starkes Parlament trägt dazu bei, alle Schichten der Gesellschaft einzubinden, es führt die erforderlichen Debatten und kann dadurch Spaltungen der Gesellschaft vermeiden.
Wir wollen daher das Europäische Parlament stärken und erreichen, dass es nicht nur ein symbolisches, sondern ein vollwertiges Parlament ist. Dafür sind insbesondere das Recht, Gesetzesvorschläge einzubringen, und das Haushaltsrecht über die Ausgaben der EU erforderlich.
Außerdem fordern wir die Einführung einer zweiten Kammer des Parlaments, die den bisherigen Minister*innenrat und den Europäischen Rat ersetzen soll. Diese Zweite Kammer soll aus demokratischen Repräsentant*innen bestehen und neben der Ersten Kammer in ihren Rechten und Pflichten gleichwertig sein. Insbesondere sollen Gesetze künftig nicht allein durch die Länderkammer beschlossen werden können. Anstelle des bisher geltenden Einstimmigkeitsprinzips soll künftig vermehrt auch eine qualifizierte ⅔ Mehrheit der Mitgliedstaaten für die Beschlussfassung ausreichend sein, so dass einzelne Staaten wichtige Entscheidungen nicht mehr blockieren können.
Durch eine dritte Kammer als Vertretung sozialer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Körperschaften sollen klare institutionelle Strukturen geschaffen werden, um zivilgesellschaftliche Interessen zu kanalisieren, klare Regeln für Bürger*inneninitiativen zu schaffen und die Schwäche direktdemokratischer Elemente auszugleichen.
Der Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen bleiben als beratende Gremien erhalten. Letzterer bekommt ein aufschiebendes Vetorecht bei Gesetzesentwürfen, die speziell die Regionalpolitik betreffen.
b) Exekutive
Neben dem Parlament als starker legislativer Gewalt brauchen wir künftig auch eine vollwertige Exekutive in der Europäischen Union. Diese Exekutive soll nicht mehr nur als ein “verlängerter Arm” der Mitgliedstaaten nationalen Interessen dienen, sondern vom Parlament kontrolliert und über demokratische Wege gebildet werden. Die Kommission soll zu einer echten europäischen Regierung werden, deren Präsident*in vom Parlament gewählt und die vom Parlament kontrolliert wird. Der Entwicklungsprozess dahin muss demokratisch und transparent sein und die Zeit bekommen, die er braucht.
c) Judikative
Auch bei der Dritten Gewalt, der Judikative, ist eine Weiterentwicklung nötig.
Das Europäische Gericht muss gestärkt und der Europäische Gerichtshof zu einem Verfassungsgericht ausgebaut werden. Einer vollwertigen Exekutive und Legislative ist eine starke und funktionierende Judikative entgegenzustellen, deren Aufgabe insbesondere der Schutz von Demokratie, Föderalismus, Sozialstaat, Rechtsstaat und antifaschistischem Selbstverständnis ist. Auch hier muss der Prozess demokratisch und transparent verlaufen.
2) Zur europäischen Verfassung
Europa steht an einem Scheideweg. In den letzten Jahren hat sich vor allem die Frage nach kleinen Veränderungen der Europäischen Union gestellt. Nach mehreren Krisen ist jedoch das gesamte bisherige System auf dem Prüfstand.
Insbesondere die Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 hat gezeigt, dass allein der Glaube an wirtschaftliches Wachstum und wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht ausreicht, um ein solidarisches Zusammenleben in Europa zu ermöglichen. Der Kapitalismus steckt in einer Krise. Griechenland ist neben Portugal, Spanien und Italien das bekannteste Beispiel dafür, wie Solidarität der Länder untereinander mehrfach aufgekündigt und dadurch eine Spirale nach unten eröffnet wurde.
Nicht zuletzt daraus erwuchs der gesteigerte Zulauf an Wähler*innen für rechtspopulistische, nationalistische und faschistische Parteien. Durch die fehlende demokratische Legitimierung der Europäischen Institutionen wurde die Abwendung der Menschen vom Prozess der Europäischen Vereinigung noch verstärkt.
Umso mehr sehen wir es als Aufgabe der Sozialdemokratischen Bewegung, den Glauben in demokratische Institutionen, sozialen Zusammenhalt und ein gerechtes demokratisches Miteinander sicherzustellen und aufzubauen.
Unser Ziel ist eine demokratische Europäische Verfassung mit sozialen Grundprinzipien.
a) Ein neues Europa vereint unter einer Verfassung
Die von uns geforderte Europäische Verfassung soll der EU eine einheitliche Rechtsstruktur geben und die EU endlich zu einer Sozialunion machen.
Für die Ausarbeitung einer neuen europäischen Verfassung fordern wir die Gründung eines europäischen Verfassungskonvents (“Kontinentaler Konvent”). Dieser Konvent soll zusammengesetzt sein aus Vertreter*innen der Parlamente sowie der Zivilgesellschaft. Die europäische Verfassung wollen wir über das Europäische Parlament, die Parlamente der Mitgliedsstaaten und ein europaweites Referendum beschließen und in Kraft treten lassen.
Diese Verfassung wird beschlossen durch:
1) eine 2/3-Mehrheit des europäischen Parlaments und
2) ein europaweites Referendum
Dabei sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, über den Entstehungsprozess und den Inhalt der Verfassung zu informieren.
b) Ein neues Europa der sozialen Sicherheit
Diese Europäische Verfassung soll den bestehenden demokratischen Grundrechtekatalog und das Recht auf Arbeit sicherstellen sowie die Mechanismen einer sozialen Arbeitsmarktsteuerung definieren.
Sozialpartnerschaft und Kommissionen für soziale Standards müssen mit Verfassungsrang gesichert werden. Die Entwicklung eines europäischen Sozialstaates ist unserer Auffassung nach die dringend notwendige Antwort auf die europäische Krise. Europa wie wir es heute kennen ist gewachsen als ein Europa der Zollunion und Warenfreiheit, mit dieser rein kapitalistischen Logik Europas wollen wir brechen. Soziale Absicherungssysteme sind die sozialdemokratische Antwort auf individuelle Risiken. Diese sind bisher in den Nationalstaaten unterschiedlich ausgebaut, mit unterschiedlichen Traditionen und dahinter stehenden Überlegungen. Wir wollen über die festgelegten und in Teilen leider nur für manche Länder Europas auch in der EU geltenden Sozialrechtsstandards (bspw. im Europäischen Fürsorgeabkommen, in Teilen in den EU-Verträgen über Arbeitsrechtsstandards usw.) hinaus weiter denken.
Alle Menschen in Europa stehen unterschiedlichen durch ihre jeweiligen Lebensverhältnisse beeinflussten Risiken gegenüber. Sozialdemokratie möchte diese schon immer kollektiv und gesamtgesellschaftlich absichern. Ausgangspunkt sozialdemokratischer Politik sind dabei die Arbeitsverhältnisse, da Arbeit für uns den zentralen gesellschaftlichen Integrationspunkt darstellt. Für alle im Folgenden beschriebenen Risiken müssen langfristig europäische staatliche Anspruchsvoraussetzungen entstehen und die nationalstaatlichen Regelungen ohne jedwede Schlechterstellung vorhandener Ansprüche in europäische überführt werden:
- Wir wollen das durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bedingte Risiko der Arbeitslosigkeit genauso wie das der Armut absichern. Beide sind nicht in den mangelnden Einsatzbereitschaft oder Anstrengungen von Individuen begründet sondern primär Produkt der gesamtgesellschaftlichen Umstände.
- Des Weiteren gehören Gesundheitsrisiken, ob durch Arbeit bedingt oder davon unabhängig und Pflegebedürfnisse ob vor, im oder nach dem Arbeitsleben entstanden, hinzu.
- Der letzte Lebensabschnitt soll nach unserem Dafürhalten frei von Erwerbsarbeitszwang sein und in diesem soll ermöglicht sein den bisherigen Lebensstandard zu halten.
- Ein letztes besonderes Augenmerk ist die Absicherung vor dem Erwerbsleben, in dem Kinder unabhängig von dem sozioökonomischen Umfeld ihrer Erziehungspersonen ebenfalls vor dem Risiko faktischer Armut abgesichert sein müssen.
Grundlegend ist für uns, dass die zu bildende europäische Arbeitslosenversicherung wie auch die europäische Armutsbekämpfung, die europäische Gesundheits- und Pflegeversicherung sowie die europäische Rentenversicherung nicht nur über Einzahlungen von Arbeitnehmer*innen geschaffen werden, sondern über eine Installierung einer europäischen Besteuerung transnationaler wie nationaler Unternehmen sowie von Kapitaleinkünften grundfinanziert wird.
c) Ein neues Europa der demokratischen Grundprinzipien
Die Struktur der Hoheitsaufgaben der Union und ihrer Mitgliedsstaaten muss grundlegend überarbeitet werden. Wir sehen die Union dabei als ein föderal organisiertes, souveränes gesellschaftliches Gebilde. Der Kontinentale Konvent wird das europäische Gemeinschaftsprojekt nach sozialen und demokratischen Gesichtspunkten umbauen.
Ohne ein starkes Parlament kann kein funktionierendes Staatsgebilde geformt werden. Insbesondere das Gesetzgebungs- und Haushaltsrecht sind für eine Volksvertretung, die den Namen verdient, unerlässlich. Nur ein effektives und aktives Parlament, das sich für die Interessen seiner Bürger*innen einsetzt, kann neues Vertrauen in das Europäische Projekt herstellen.
Dem parlamentarischen Prozess räumen wir hierbei eine dreifache Repräsentanz ein. An diesem sind die Vertreter*innen gewählt aus der Gesamtheit aller in der Europäischen Union lebenden Menschen, die Vertreter*innen aller Regionen der Union und die Vertreter*innen der sozialen, wirtschaftlichen, gemeindlichen und kulturellen Körperschaften beteiligt.
Unser Europa ist eine parlamentarische Demokratie mit einem Drei-Kammer-System, in dem eine direkt gewählte erste Kammer mit Initiativrecht und Budgethoheit einer regional organisierten zweiten Kammer gegenübergestellt ist. Die komplett neu geschaffene dritte Kammer repräsentiert die großen sozialen, wirtschaftlichen, bürger*innenrechtlichen und kulturellen Körperschaften wie Gewerkschaften und Umweltverbände und hat das Initiativrecht für eine europäische Bürger*innenbefragung. Die Exekutive wird ausschließlich vom Parlament bestimmt.
Demokratie lebt von der Beteiligung der Menschen. Das Konstrukt der Union und seiner Mitgliedsstaaten muss so gestaltet sein, dass Demokratie erlebbar auf allen Ebenen ist und bleibt. Dies bedeutet neben der Organisation in Nichtstaatlichen Organisationen, sowie Parteien und Gewerkschaften auf kommunaler, regionaler wie nationaler Ebene auch ein funktionierendes, gerechtes europäisches Wahlrecht, sowie ein funktionierendes Parteiensystem.
Die Zeiten, in denen sich Regierungen im Europäischen Rat über den Willen der gewählten Volksvertreter*innen hinwegsetzen und damit das Grundprinzip repräsentativer Demokratie in Frage stellen konnten, sind vorbei. Wir wollen sicherstellen, dass Europas Menschen ebenso wie die Regionen dieses Kontinents repräsentiert sind und an der Bildung des rechtlichen Rahmens beteiligt sind.
Die Menschenrechte sind das Fundament einer demokratischen Gesellschaft und für uns nicht verhandelbar. Voraussetzung für ein gerechtes Europa ist eine soziale und demokratische Grundordnung. Daher definieren wir Grundprinzipien unseres europäischen Gemeinwesens. Diese bilden das Grundgerüst des jungsozialistischen europäischen Verfassungsstrebens.
- 1.Alle Macht geht vom Europäischen Volke aus, das im gesamten Gebiet der Europäischen Union lebt. Die Menschen Europas bestimmen in Wahlen und Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip die Organe der Europäischen Union und deren Gesetzgebung. Unser Europa ist ein demokratisch organisierter Staat.
- 2.Europa steht solidarisch mit allen, die der Hilfe bedürfen. Dies geht nur wenn alle Menschen Hand in Hand miteinander leben, arbeiten und füreinander einstehen. Es gilt das Prinzip, dass sich jede Person auch nach ihren*seinen materiellen Bedürfnissen frei entfalten kann. Unser Europa ist ein sozialer Staat.
- 3.Jede einzelne Ebene der Demokratie und Verwaltung muss für die Aufgaben zuständig sein, die am besten zu ihr passen. Dabei muss ein gerechter Ausgleich zwischen einer zentralen Konzentration von Macht und den Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten gefunden werden. Wir stehen für ein Europa der Selbst- und Mitbestimmung seiner Menschen. Um diese Ziele zu erreichen brauchen wir eine Organisation in Form der einzelnen Mitgliedstaaten, weshalb die Antwort nur ein regionales und föderales Europa sein kann. Um das friedliche Zusammenleben zu sichern, ist die Wahrung von Freiheiten institutionell zu gewährleisten. Europa hat die Grund- und Menschenrechte aller Verfassungen seiner Mitgliedstaaten zu achten und zu verteidigen. Die Union garantiert und sichert das ungehinderte Funktionieren horizontaler wie vertikaler Gewaltenteilung. Europa ist ein Rechtsstaat.
- 4.Aus der Tradition des Kampfes gegen Faschismus, Nationalsozialismus und Tyrannei aus der Zwischenkriegszeit, des zweiten Weltkriegs und seiner ideologischen Nachfolger*innen und Mitstreiter*innen steht Europa für uns vereint im Kampf gegen rechten Radikalismus, Menschenfeindlichkeit und Verhetzung. Europa fußt daher auf dem Fundament des Antifaschismus.
- 5.Die Union beruht auf den Werten der Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit einschließlich der Rechte Angehöriger von Minderheiten. Diese Werte sind den Mitgliedern in der europäischen Gesellschaft gemeinsam, in der Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichstellung von Frauen und Männern selbstverständlich sind.
Für uns ist klar, dass eine demokratische Ordnung nur durch größtmögliche demokratische Freiheiten und Rechte sichergestellt werden kann. Daher fordern wir europaweite einheitliche Listen der Parteien für die Wahl des Europäischen Parlaments an Stelle von 28 nationalen Einzelwahlen mit 28 unterschiedlichen Wahlsystemen. Somit wird in Zukunft jede Stimme das gleiche Gewicht haben. Gleichzeitig muss Deutschland als bislang größter Mitgliedsstaat der EU dafür Sorge tragen, dass kleinere Mitgliedsstaaten und deren Angehörige weiter angemessen auf allen europäischen Entscheidungsebenen repräsentiert sind. Um dem regionalen und föderalen Element bei Wahlen Rechnung zu tragen, setzen wir uns auf Basis der Gleichgewichtung aller Stimmen für eine Weiterentwicklung des Wahlsystems im europäischen Sinne ein, um klarzustellen, dass es sich um eine ganz Europa betreffende Wahl handelt. Dafür streben wir die Einrichtung transnationaler, regionaler Mehrpersonenwahlkreise an.
Ebenso fordern wir die Trennung des Wahlrechts von der Staatsbürgerschaft. Wir wollen, dass alle Menschen, die sich mindestens seit drei Monaten dauerhaft an einem Wohnsitz innerhalb der EU aufhalten und die die entsprechenden Wahlalter erreicht haben, in der Europäischen Union das Wahlrecht erhalten. Grundlage jeder Diskussion über Partizipation in Europa und die Aufwertung des europäischen Parlaments muss damit eine Vereinheitlichung des Wahlrechts in Europa sein, die zum gleichen Gewicht jeder europäischen Stimme führt, ganz gleich aus welcher Nation oder für welche Partei sie abgegeben wird.
Ferner fordern wir ebenso im Bereich des Wahlalters eine möglichst große Partizipation der Menschen in Europa und daher ein aktives und passives Wahlalter ab 14 Jahren.
III) Das Europa von Morgen
Doch auch schon heute gilt es nicht nur zu träumen, sondern die ersten Schritte hin zu den Vereinigten Staaten von Europa zu gehen, indem wir die Probleme von heute anpacken und lösen.
1) Europa der klaren Mitgliedschaft
Europa bedeutet Gemeinschaft und Solidarität. Es soll wachsen und jeder Mitgliedstaat seinen gleichberechtigten Platz innerhalb der Union finden. Im Lichte des Brexit und des Erstarkens der antieuropäischen Parteien in vielen Ländern ist zu befürchten, dass nicht nur in Großbritannien über einen Austritt nachgedacht wird. Das Ziel muss sein, die EU so attraktiv wie möglich zu machen und klarere Regeln zu schaffen, wenn es um das Verlassen der Europäischen Union geht.
Derzeit ist das Austrittsverfahren in Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) geregelt. Nach der Erklärung des Austritts hat der betroffene Mitgliedsstaat zwei Jahre Zeit, um die EU zu verlassen. Während dieser Zeit kann der austrittswillige Staat aber nicht mehr mitentscheiden, wenn es um Entscheidungen der EU zum Austritt geht. Eine Fristverlängerung kann nur einstimmig durch die Mitgliedstaaten beschlossen werden. In Art. 50 EUV ist außerdem das Prinzip verankert, dass kein Mitgliedstaat gezwungen werden kann, die EU zu verlassen. Dies bedeutet dass eine Austrittserklärung bis zum Ablauf der zwei Jahre nur einseitig zurückgenommen werden kann. Der bis dahin stattgefundene Austrittsprozess ist dann als hinfällig zu betrachten.
Der so bestehende Art. 50 EUV wirft daher verschiedene Probleme auf. Durch die Möglichkeit, die Austrittserklärung in den zwei Jahren jederzeit einseitig wieder zurückzunehmen, macht sich die EU erpressbar. Staaten fällt es leicht, mit einem Austritt zu drohen und sogar den Prozess in Gang zu setzen, wenn sie wissen, dass sie innerhalb eines Augenblicks alles ungeschehen machen können. Dieses Problem besteht aber auch andersrum. Will ein Mitgliedstaat ernsthaft austreten und die Verhandlungen sind nach zwei Jahren noch nicht abgeschlossen, könnten Ansprüche an den austretenden Mitgliedstaat gestellt werden, um der nur einstimmig möglichen Fristverlängerung zuzustimmen und so einen harten Exit zu verhindern.
Deshalb fordern wir, die EU weniger erpressbar zu machen, indem man zum einen eine Kostenregelung in den Art. 50 EUV aufnimmt, nach der der austretende Mitgliedstaat gemäß seinem Bruttoinlandsprodukt an den Kosten des Austrittsprozesses beteiligt wird – unabhängig davon, ob der Austritt vollzogen wird oder nicht. Zum anderen soll der austretende Mitgliedstaat auch an keinen Entscheidungen mehr beteiligt sein, die einen längerfristigen Zeitraum betreffen als zwei Jahre. Das gilt allerdings nur für den Rat und nicht im Parlament.
Wir fordern außerdem, dass Mitgliedstaaten, die wirklich austreten wollen, nicht erpressbar sein dürfen. Deshalb soll die in Art. 50 II EUV verankerte einstimmige Entscheidung zur Fristverlängerung in eine Mehrheitsentscheidung umgewandelt werden.
2) Miteinander Leben
Die Welt wird immer kleiner, doch trotzdem entfernen sich die Europäer*innen zunehmend voneinander. Die Spaltung zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West nimmt immer weiter zu. Hinzu kommen nationalistische, isolationistische und separatistische Bewegungen, die ihr Land zu einer geschlossenen Gesellschaft nur für geladene Gäste machen wollen. Der Gedanke der europäischen Gleichheit und Einigkeit keimt aber dennoch, wie man bei Bewegungen wie Pulse of Europe sehen konnte. Es muss uns also ein großes Anliegen sein, die Kulturen zu verbinden, die Kommunikation untereinander zu stärken und ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen.
a) Europäische Öffentlichkeit
Eine europäische Öffentlichkeit trägt zur Identitätsfindung bei, bringt die Menschen in einem solidarischen Verständnis näher zueinander und trägt zur Überwindung nationalstaatlicher Identitäten und größeren Zustimmung zur Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa bei. Daher müssen europäische Entscheidungen transparenter werden. Dafür brauchen wir mehr gemeinsame europäische Medien, denn nur so kann ein Machtzuwachs Europas legitimiert werden. Die zunehmende Verbreitung und Erstellung von Nachrichten im Internet und auf sozialen Medien können dazu dienen, eine europäische Öffentlichkeit zu befördern, da in Echtzeit alle Europäer*innen die bereitgestellten Informationen produzieren, konsumieren und teilen können. Diese Potentiale gilt es stärker zu nutzen, ohne dabei die Risiken zu missachten.
b) Sprache verbindet
Europa zeichnet sich durch eine Vielfalt an Kulturen und Sprachen aus, die es zu erhalten und zu fördern gilt. Wir halten an der Sprachpolitik der EU fest, die die Dreisprachigkeit aller Europäer*innen durch Sprachunterricht ab früher Kindheit nach der Formel „Muttersprache+2“ fördert. Wir sind überzeugt, dass der Fremdsprachenunterricht mit Eintritt in die Grundschule beginnen sollte. Wir halten das Ziel einer Dreisprachigkeit für richtig, um die Kommunikation aller Europäer*innen miteinander zu fördern. Zudem müssen flächendeckend kostenlose Sprachkurse angeboten werden, um den Menschen auch nach der Schulzeit das nachträgliche Erlernen weiterer Sprachen zu ermöglichen.
c) Europa verbinden
Für den kulturellen, zwischenmenschlichen und geschäftlichen Austausch unter europäischen Bürger*innen, und damit das Zusammenwachsen von Europa, ist Mobilität von großer Bedeutung. Um die Mobilität von Menschen und auch Gütern innerhalb Europas zu ermöglichen, bedarf es einer europäischen Verkehrsinfrastruktur. Diese Verkehrsinfrastruktur soll im Besitz der Allgemeinheit sein und allen europäischen Bürger*innen diskriminierungsfrei und kostenfrei zur Verfügung stehen.
Verkehrsinfrastrukturprojekte von europäischer Bedeutung werden auf europäischer Ebene unter Einbindung der beteiligten Staaten beschlossen. Diese Projekte sind im Interesse der Allgemeinheit zu einem festgelegten Datum verbindlich umzusetzen, um einen „Flickenteppich“ zu vermeiden. Wir verweisen an dieser Stelle auf eine Kompetenzverteilung im Rahmen der von uns geforderten Subsidiarität. Dies bedeutet, dass lokale Verkehrsinfrastrukturprojekte lokal entschieden und projektiert werden sollen. Projekte von europäischer Bedeutung müssen dagegen auf europäischer Ebene entschieden und durchgeführt werden.
Der Ausbau der Schieneninfrastruktur sowie von Einrichtungen für den kombinierten Verkehr soll priorisiert werden, um den Kohlenstoffdioxidausstoß zu verringern. Durch den Ausbau eines Schienennetzes mit Hochgeschwindigkeitsverbindungen sollen Flüge zwischen europäischen Großstädten reduziert werden. Durch die europaweite Aufhebung der Mehrwertsteuerbefreiung von Flugtickets soll die Wettbewerbsfähigkeit des umweltverträglicheren Schienenverkehrs erhöht werden. Eine Förderung des Nachtzugverkehrs zum Verbinden europäischer Metropolen ist anzustreben. Zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs sind grenzüberschreitende Verkehrsverbünde auszuarbeiten um mit durchgehenden Verbindungen Hindernisse für Berufspendler*innen und Reisende im grenzüberschreitenden Regionalverkehr abzubauen. Die Notwendigkeit von offenen Grenzen wird hierbei unterstrichen.
Insbesondere für junge Menschen ist es wichtig, in Europa mobil zu sein und Europa erfahren zu können. Deshalb fordern wir bereits jetzt ein kostenloses Interrailticket zum 18. Geburtstag. Grundsätzlich sollen alle Mobilitätsdienstleistungen in sämtlichen Verkehrssektoren, bis die Verkehrsinfrastruktur kostenlos nutzbar ist, für Jugendliche unter 26 Jahren vergünstigt zur Verfügung gestellt werden. Dies muss unabhängig von Rabattprogrammen erfolgen, allein das Alter muss ein ausreichendes Kriterium darstellen.
Mobilitätsprogramme wie ERASMUS+, die nicht nur auf das Reisen beschränkt sind, leisten einen wertvollen Beitrag, junge Menschen aus ganz Europa während des Studiums oder der Ausbildung in Kontakt zu bringen. Diese Programme gilt es weiter zu fördern und auszubauen. Darüber hinaus wünschen wir einen verstärkten Austausch unter europäischen Bürger*innen in sämtlichen Lebensphasen. Die Schaffung und Förderung von regelmäßigen Austauschprogrammen im ehrenamtlichen Bereich, z. B. bei Sport-, Musik- und Kulturvereinen, soll Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten vereinen. Nur aus einer Kombination von physischer und sozialer Vernetzung kann ein gemeinsames europäisches Verständnis geschaffen werden.
3) Soziale Gerechtigkeit
Der Neoliberalismus und die Sparzwänge in den letzten Jahren haben in Europa eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Sie haben erst die Bühne bereitet für nationalistische Bewegungen, Abschottung und Existenzangst. Die Armut in Europa wächst; trotz überwundener Wirtschaftskrisen lebt noch immer ein Viertel der Europäer*innen in Armut oder ist davon bedroht. In manchen Mitgliedsstaaten sind es sogar bis zu 38,9 %. Die Jugendarbeitslosigkeit ist riesig, die soziale Infrastruktur verfällt oder existiert bereits gar nicht mehr.
a) Sozialstaatlichkeit
Daher brauchen wir als Antwort einen klaren gesellschaftlichen Konsens für Gerechtigkeit und Solidarität. Unser Verteilungskampf darf nicht an der Staatsgrenze aufhören, er muss europäisch ausgetragen werden. Künftig versuchen wir all unsere Forderungen auch auf Europäischer Ebene durchzusetzen. Die wichtigste Aufgabe der Union muss die grundsätzliche Absicherung aller Europäer*innen sein.
Wir wenden uns dabei klar von der schwarzen Null ab. Der Sparzwang und massive Privatisierungen haben dazu geführt, dass Gesellschaften auseinanderdriften, Menschenrechte in Frage gestellt werden und eine zunehmende Verelendung der Menschen stattfindet.
Als eine wesentliche Ursache sozialer Ungleichheit, Spaltung und Abgrenzung erkennen wir den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Während im Rahmen der so genannten „Wettbewerbsfähigkeit“ Rationalisierungen an Arbeitsprozessen beschlossen werden, sinken die Löhne. Arbeitnehmer*innen haben kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Dieser Widerspruch zwischen der geleisteten Arbeit und dem Kapital kennzeichnet alle kapitalistischen Systeme und äußert sich europaweit ganz konkret in prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen.
Sozialer Ungleichheit stellen wir das Prinzip der Sozialstaatlichkeit im Rahmen eines sozialen Europas entgegen. Wir stellen uns die Frage nach Sozialstaatlichkeit und antworten entsprechend unserer Idee von Europa: Die wichtigste Aufgabe des Sozialstaates ist die Grundsicherung aller Menschen, die in Europa leben. Der Ausgangspunkt eines Sozialstaats muss die soziale Gleichheit sein – gerade in Zeiten, in denen sich der Widerspruch zwischen Vermögenden und Lohnabhängigen immer mehr verstärkt.
Wirtschaftliches Wachstum und Kohäsion
Die wirtschaftliche Entwicklung der der europäischen Mitgliedsstaaten weist bis heute eine große Disparität auf. Das Gefälle zwischen Süden und Norden sowie zwischen Osten und Westen der Union trägt bis zum heutigen Tage gekoppelt an eine neoliberale Wirtschaftsordnung dazu bei, dass soziale Unterschiede verstärkter zu Tage treten. Die Finanzkrise hat diesen Unterschied nur verstärkt und beschleunigt.
Aufgabe sozialdemokratischer Politik muss es sein, diese Logik zu brechen. Aus diesem Grund ist ein Investitionsfonds zu etablieren, der einfach und unbürokratisch Mittel zum Aufbau von Infrastruktur im wirtschaftlichen, sozialen sowie im Energie- oder Bildungsbereich sicherstellt. Ziel ist es, die wirtschaftliche Stärke und Innovationskraft innerhalb der europäischen Regionen mittelfristig anzugleichen, aus der eine Steigerung des Lebensstandards und Kaufkraft resultieren soll.
Der Fonds finanziert sich aus einer europaweiten Abgabe, die direkt an die Unionskasse abzuführen ist.
b) Arbeitsmarktpolitikaa) Mindestlohn
Wir fordern die Schaffung eines europaweiten gesetzlichen Mindestlohns, bei dem anders als in Deutschland nicht eine klare Zahl festgelegt wird, sondern je nach Land ein Spielraum verbleibt, sowie vergleichbare Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in allen Mitgliedsstaaten. Dadurch sichern wir einen schrittweisen, aber auch sichtbaren und spürbaren Weg hin zur Angleichung der Arbeits- und Lohnbedingungen in der Europäischen Union und damit mehr soziale Gerechtigkeit innerhalb der EU. Dazu gehört für uns ebenso als fundamentales Prinzip der Gedanke der gleichen Entlohnung für gleich(wertige) Arbeit am gleichen Ort.
Wo die Steuerungsmechanismen des Arbeitsmarktes versagen, ist durch die Union mit einem staatlichen Arbeitsmarktprogramm entgegenzuwirken. Insbesondere in Bereichen, die nicht dem profitorientierten Wirtschaften zuzurechnen sind, ist ein europaweiter Arbeitsmarkt für soziale Berufe und Sicherstellung von Infrastruktur einzurichten. Dieser umfasst im Besonderen sensible Bereiche wie Pflege, Gesundheitsversorgung, Bahnverkehr und Versorgung mit Telekommunikationsinfrastruktur sowie der allgemeinen Daseinsvorsorge.
Grundvoraussetzung für gute Arbeit ist eine gute Ausbildung. Wir wollen auch hier Vergleichbarkeit und Mindeststandards einführen. Oberste Prämissen sind hierbei Sicherheit und gute Perspektiven für Auszubildende. Daher soll ein vergleichbarer Standard dualer Ausbildung, ähnlich dem deutschen Modell, ausgearbeitet werden. Um auch in der Ausbildung einen fairen Lohn sicherzustellen, fordern wir weiter einen europäischen Mindest(auszubildenden)-Vergütungskorridor, also einen festzulegenden Rahmen für Vergütungen, der den Lebenshaltungskosten in den einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung trägt; außerdem eine anschließende Übernahmegarantie zu Ende der Ausbildungen. Die europäische Wirtschaft ist hierbei angehalten in einen solidarischen Ausbildungsfonds einzuzahlen, um die Kosten gerecht zu verteilen.
bb) Streikrecht und betriebliche Mitbestimmung
Flächendeckende, allgemeinverbindliche durch die Sozialpartner*innen ausgehandelte Tarifverträge sind das Ziel unseres lohnpolitischen Strebens. Tarifflucht oder gar die Vermeidung von Einbindung in tarifliche Verpflichtungen wollen wir auf europäischer Ebene gesetzlich unterbinden.
Wir fordern ein europäisches Streikrecht und betriebliche Mitbestimmung in allen Mitgliedstaaten. Die gleichberechtigte Beteiligung europäischer Betriebsrät*innen am politischen Prozess ist Zielsetzung unseres politischen Handelns. An europäischen Verhandlungstischen sind Gewerkschaften als eine*r der maßgeblichen gesellschaftlichen Akteur*innen mindestens gleichberechtigt mit den anderen Partner*innen zu beteiligen. Um dieses sicherzustellen, ist eine europäische gesetzliche Regelung zu schaffen.
Dieses Ungleichgewicht in der Vertretung von Arbeit und Kapital in Europa gilt es zu beseitigen. Es ist nötig, die Gewerkschaftsbewegung auch auf europäischer Ebene so zu stärken, dass sie den Kampf für soziale Standards und Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche mittragen kann. Internationalen Betrieben müssen Vertreter*nnen der Arbeitnehmer*innen entgegenstehen, die
Interessen der Belegschaften auch auf internationaler Ebene verteidigen können. Die Bedingungen für gute Arbeit und guten Lohn dürfen nicht länger an nationalen Grenzen haltmachen. Das bedeutet konkret etwa eine Schärfung bestehender Entsenderichtlinien.
cc) Rechtsanspruch auf Arbeit
Wir fordern die Einführung eines EU-weiten Rechtsanspruchs auf Arbeit. Dabei stellt die EU die Finanzierung bereit und die jeweilige Kommune den Arbeitsplatz. Die Beschäftigung erfolgt mindestens auf Mindestlohnniveau, soll aber weder bestehende öffentliche noch private Arbeitsplätze ersetzen.
Mit dem Rechtsanspruch auf Arbeit bekämpfen wir einerseits die lang anhaltende Arbeitslosigkeit, die insbesondere junge Menschen betrifft. So hat ein Viertel bis die Hälfte aller fertig ausgebildeten Menschen unter 25 in Griechenland, Spanien, Italien und Portugal keine Arbeitsstelle. Andererseits können die Kommunen selbst entscheiden, wo sie Arbeitskraft brauchen können. Denkbar sind z. B. die Unterstützung älterer Menschen im Haushalt, Geflüchtetenhilfe, Begleitservices bei S- und U-Bahn oder Assistenz-Tätigkeiten in Kitas und Schulhorten. Außerdem schützt der Rechtsanspruch auf Arbeit die EU vor einer tiefen Rezession in der nächsten Wirtschaftskrise. Menschen rutschen nicht aus Arbeit in die Arbeitslosigkeit, sondern werden durch die kommunale Beschäftigung aufgefangen. Dies hält die wirtschaftliche Nachfrage stabil und verhindert Kaskadeneffekte wie steigende Gesundheits- und Sozialausgaben („makroökonomischer Stabilisierungsmechanismus“). Zudem bekämpft das Recht auf Arbeit die erzwungene Migration in Europa. Während viele Europäer*innen die Freizügigkeit in der EU freiwillig und gerne in Anspruch nehmen, haben andere keine Wahl. Insbesondere in Süd- und Osteuropa sind viele gut ausgebildete Menschen gezwungen, nach Deutschland oder in andere nordeuropäische Länder auszuwandern. Dies verschärft sich in Krisenzeiten. Während die Empfänger*innenländer die zusätzlichen Fachkräfte gut brauchen können, fehlen sie gleichzeitig den Entsendeländern. Es entsteht ein Teufelskreis, bei dem Gemeinschaften auseinandergerissen werden und ganze Landstriche verlassen zurückbleiben. Recht auf Migration darf nicht Pflicht zur Migration werden! Ein Anspruch auf Arbeit am aktuellen Wohnsitz fördert die freie Wahl des Lebensmittelpunkts in Europa.
c) Europäisches Sozialversicherungssystem
Die Herausforderung der wachsenden Armut kann nur europäisch gelöst werden. Es ist also an der Zeit, unsere nationalen und auch sehr ungleichen Sozialversicherungssysteme zu vernetzen und somit ein überall gleich gutes Leben zu garantieren. Ziel ist eine schrittweise Angleichung der Sozialstandards in der europäischen Union zur Schaffung einer gerechten Sozialversicherungsordnung. Dies muss sich besonders auch im Bereich der Gesundheitsvorsorge niederschlagen. Um allgemeinverbindliche Standards zu gewährleisten, basiert diese Versorgung auf einem vernetzten europäischen Sozialversicherungssystem. Dieses darf unter keinen Umständen den Einflüssen einzelner reaktionärer oder religiös einschränkender Regierungen der Mitgliedstaaten ausgesetzt sein. Dieses umso mehr, als dass wir den uneingeschränkten Zugang zu grundlegenden Behandlungs- und Medikationsmaßnahmen sicherstellen. Das Aussparen von Reproduktionsmedizin, wie in einigen Mitgliedstaaten durchgesetzt, wollen wir durch diese Politik aktiv umgehen.