Das Wahlrecht ist die Grundlage der Demokratie und damit eines der edelsten, wenn nicht das edelste Bürger*innenrecht. Wer wählt, nimmt teil am öffentlichen Leben. Wer wählt, verschafft sich Gehör. Wer wählt, verleiht seiner Meinung Ausdruck. Wer nicht wählt, verzichtet darauf, doch das ist jedem selbst überlassen. Wer jedoch nicht wählen darf, verliert eines seiner vornehmsten Rechte in jeder Demokratie.
Bislang gab es zwei Gruppen von Menschen, die nicht oder nicht mehr wählen durften: Schuldunfähige Straftäter in psychiatrischen Einrichtungen und Menschen die unter voller gesetzlicher Betreuung stehen. Aber nun ist es laut Bundesverfassungsgericht unzulässig, Menschen, die unter voller gesetzlicher Betreuung stehen, pauschal das Wahlrecht zu entziehen.
Was bedeutet das? Nun, zunächst ist zwischen Betreuung im Sinne einer WG oder eines Betreuten Einzelwohnens und der gesetzlichen Betreuung zu unterscheiden. Ersteres bedeutet, dass Menschen, die körperlich, geistig oder psychisch beeinträchtigt sind, eine solche Wohnform wählen können, um im Fall der Fälle nicht allein zu sein und Unterstützung in schwierigen Situationen zu haben. Sie sind aber weiterhin für sämtliche Belange wie z. B. Bankgeschäfte oder Behördenangelegenheiten selbst verantwortlich.
Genau das ist beim zweiten Fall, der gesetzlichen Betreuung, nicht gegeben. Hier gibt die betreute Person diese Verantwortung ganz oder teilweise ab; dies ist auch auf eigenen Wunsch möglich. So kann ein*e Betreuer*in etwa die Vertretung des Betreuten in Bank- und Behördenangelegenheiten übernehmen; er könnte auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die betreute Person haben. In dem Fall könnte er entscheiden, wo die betreute Person leben soll und die notwendigen Schritte einleiten.
Nun gibt es auch Menschen, die in allen relevanten Bereichen durch ein*e Betreuer*in vertreten werden, diese stehen dann unter voller gesetzlicher Betreuung. Das hieß bisher, dass diese Menschen nicht an Wahlen teilnehmen durften. Geregelt war dies derart im Bundeswahlgesetz (BWG) §13 Nummer 2. Dort heißt es: Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist, derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist;(…). Also sehr strikt und klar formuliert.
Geht gar nicht, befand nun das Bundesverfassungsgericht im Februar dieses Jahres. Karlsruhe hat ja in den letzten Jahren gerne mal neuere Gesetze (und unser Wahlrecht) für verfassungswidrig erklärt und der Regierung gesagt, sie möge doch noch mal nachbessern. Begründet hat das Gericht dies mit dem Bundeswahlgesetz, in dem die Typisierung und Begründung für den Wahlausschluss nicht klar genug geregelt sei. Prinzipiell bleibt der Ausschluss von Menschen, die nicht hinreichend am “Kommunikationsprozess zwischen dem Volk und den Staatsorganen” teilnehmen können jedoch weiterhin möglich. Von der aktuellen Regelung sind bislang mehr als 80.000 Menschen betroffen.
Es ist also unzulässig, Bürger*innen unter voller gesetzlicher Betreuung pauschal von Wahlen auszuschließen. Sie dürfen wählen, wenn sie dies wollen. Und zwar nicht erst zur nächsten Bundestagswahl, wie von der Regierung ursprünglich geplant, sondern bereits zur Europawahl am 26. Mai. Die Jusos hatten dieses Thema übrigens schon im vergangenen Jahr auf dem Schirm. So stand beim Bundeskongress 2018 ein Antrag der Genossinnen und Genossen aus Weser-Ems zur Abschaffung des §13 Nr. 2 BWG im Antragsbuch.
Das Urteil ist also genau in unserem Sinne.
Ein Beitrag von Tobi und Stefan