Unfreiwillig im Zölibat – InCels

Würden InCels eine Deutschrapgruppe gründen, würde Sie wohl UIZ heißen – unfreiwillig im Zölibat. Genau das bedeutet der Name einer leider mittlerweile zu traurigem Ruhme erlangten Gruppe Männer im Internet – die Involuntary Celibates. Diese Gruppe meistens junger, weißer, heterosexueller Männer hat ein Problem – sie bekommen keine Frauen ab. Das frustriert sie. Und nun können die Männer selber nichts dafür. Davon sind sie überzeugt, und sie können das auch ganz hervorragend begründen. Und ab spätestens diesem Punkt, wenn man versucht zu ergründen warum die InCels keine Frauen abbekommen, steigt man in eine wirr anmutende Parallelwelt ab, die aber einer ganz eigenen, verstörenden und doch kohärenten Logik folgt. 

InCels glauben, dass simple biologische Faktoren verantwortlich für Ihren Misserfolg beim anderen Geschlecht sind. Sie hätten schlicht nicht die richtige Kopfform und nicht die richtigen Gesichtszüge, um attraktiv zu erscheinen. Damit begeben sie sich in eine hilflose Opferrolle, denn an biologischen Faktoren können sie natürlich nichts ändern.  Andere Punkte, denen klassischerweise im Dating-Game eine wichtige Rolle zugesprochen wird, wie Selbstbewusstsein, Humor und Auftreten spielen hingegen überhaupt keine Rolle. Alles ist vom Biologischen determiniert. Wenn du richtig aussiehst, wirst du von der Gesellschaft als attraktiv wahrgenommen, das führt zu Selbstbewusstsein, das zu Erfolg bei Frauen, das wiederum zu mehr Selbstbewusstsein und so weiter und so fort. Und InCels haben keine Chance, in diesen deterministischen Kreislauf hineinzugelangen. 

 Die einzige Alternative, die Ihnen bleibt, ist „to lay down and rot“, wie es in den Foren heißt. Sich also hinzulegen und zu verrotten. 

Mit dieser Aufforderung, die die totale Kapitulation und Hoffnungslosigkeit widerspiegelt, der sich viele Männer in diesen Foren hingeben, kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt der Community: Depression. Der Grund, warum die InCels auch für viele Männer sehr gefährlich sind. Die sozialen Medien erhöhen den Druck auf jeden, ein perfektes Instagram-Leben zu führen. Eine Partnerschaft ist immer noch ein notwendiger Meilenstein dafür – Single zu sein wird als Versagen wahrgenommen. Häufig auch von den Personen selbst. Dieser Spalt zwischen Erwartungsdruck und Realität führt zu einem verstärkten Empfinden von Einsamkeit und Unzufriedenheit, was zu Depressionen führen kann (sehr vereinfacht ausgedrückt). Auf den Plattformen, auf denen die InCels sich austauschen, erfahren diese Männer aber keine Hilfe, sondern die komplette Verzweiflung und werden zur Aufgabe aufgefordert. Im schlimmsten Fall fördert das suizidale Neigungen und resultiert im Selbstmord. 

Das andere Extrem, wozu der Bubble-Effekt der InCels führen kann, ist extremer Frauenhass. Und hier sprechen wir von Sexismus der übelsten Sorte. Das beginnt schon beim sehr einfach gestrickten Weltbild. Attraktive Männer (Chads, in der Sprache der InCels) sind natürlich sportlich. Attraktive Frauen (Stacies, der Fleisch gewordene Blondinenwitz) schlafen mit Chads und die weniger attraktiven Frauen (Beckies) möchten gerne mit Chads schlafen. Um es ganz ehrlich zu sagen, wirken diese Stereotype, als hätte jemand amerikanische High-School Dramen zu ernst genommen und daraus ein Gesellschaftsbild entwickelt. Schlussendlich bedeutet es aber in Ihrer Logik, dass keine Frau mit einem Mann schlafen will, der kein „Chad“ ist. Als aufmerksamer Leser bemerkt man an dieser Stelle vielleicht, dass es nun gar nicht mehr so um Liebe und Beziehungen geht, sondern um Sex. Das ist der Kern, denn genau den haben die InCels nicht. Ihr ganzes Denken ist aber darauf ausgerichtet, wie sie welchen bekommen können. 

Und hier fängt ihre „Gesellschaftskritik“ an. Sie fordern eine Art sexuellen Sozialismus. Der basiert darauf, dass sie es als ungerecht empfinden, dass Frauen quasi über „ihrem Niveau“ daten und auch nur mit „Chads“ schlafen wollen, wenn sie selber „Beckies“ sind.  Frauen sollten daher nur mit Männern schlafen dürfen, die demselben optischen Niveau entsprechen. Dann wäre auch für jeden Mann wieder eine Frau verfügbar. Denn natürlich hat jeder Mann ein Anrecht darauf, mit Frauen Sex zu haben.  Der Fehler liegt also in der „Hypersexualität“ der Frau, die mehr für sich beansprucht als ihr zusteht. 

Nun könnte man das alles kopfschüttelnd als absurde Männerfantasien abtun. Doch leider hatten die Ideen der InCels schon tödliche Konsequenzen. In den USA gab es mehrere Amokläufe und Anschläge, die Anhängern der InCel-Community zugeschrieben werden. Zwei davon erlangten besondere Berühmtheit, einerseits der Amoklauf von Isla Vista des 22-jährigen Elliot Rodgers, bei dem er sechs Menschen tötete, einschließlich sich selbst. Und 2018 fuhr Alek Minassian in Toronto mit einem Van in eine Menschenmenge und tötete zehn Personen. Er bezeichnete sich vor dem Attentat selbst als InCel und brachte seine Bewunderung für Elliot Rodgers zum Ausdruck. Alek Minassian sitzt seit dem Anschlag in Haft, sein Prozess soll im Februar 2020 fortgesetzt werden. 

Männer radikalisieren sich also bis zur Bereitschaft zum Mord, werden dabei angefeuert von Gleichgesinnten und fühlen sich auch noch als Teil einer „gerechten Revolution“.  Althergebrachte Rollenbilder werden extremisiert und die Schuld an der eigenen Lage der Gesellschaft zugeschoben. Von einer klaren Gruppe kann man aufgrund der losen Struktur in Online-Foren nicht sprechen, es gibt auch bislang keine Zahlen über die Größe der Community und wie viele davon den radikalsten Ideen anhängen. Sicherlich sind die InCels auch nicht der einzige Faktor der zur Radikalisierung einzelner führt, aber sie tragen dazu bei. In ihren Foren wird zu Gewalt insbesondere gegenüber Frauen aufgerufen und Mörder glorifiziert. Es liegt an uns allen, den Bubble-Effekt dieser und ähnlicher Gruppen zu durchbrechen und dafür zu sorgen, dass auch im Internet Sozialisierung nicht nur Radikalisierung bedeutet.    

Ein Beitrag von Tim und Stefan