Das erste Todesopfer der Covid19 Pandemie in Europa war kein Mensch. Es war die europäische Solidarität. Sie ist als erste gestorben, in einer Zeit in der Sie das notwendigste war. Erst Ende März, da war in Italien die Krise schon seit Tagen auf dem Höhepunkt, entschloss sich Deutschland zu umfassenderen Hilfslieferungen. Sieben Tonnen an medizinischem Material sowie 300 Beatmungsgeräte wurden in die Lombardei geschickt. Später hat Deutschland auch Kranke aus Italien aufgenommen, um Sie hierzulande zu behandeln. Es war dringend notwendige Hilfe für ein Land an der Grenze zum Zusammenbruch. Es war Hilfe für einen Nachbarn. Doch sie kam so spät, dass es eine Schande für Europa ist.
Andere Länder halfen Italien früher und eindringlicher. Diese Hilfe kam allerdings nicht aus Österreich, Frankreich oder zum Beispiel Polen. Die Hilfe kam aus China, Russland und Kuba. Kuba entsendete 52 Ärzt*innen in die Lombardei, China gleich 300. Russland schickte unter dem Motto „From Russia with Love“ neun Militärfrachter mit technischer Ausrüstung, Desinfektionsmitteln und ca. 100 Spezialist*innen nach Italien. Diese Hilfe aus unerwarteter Richtung war in Italien sehr willkommen. Aus der Richtung, aus der man Hilfe hätte erwarten können, kam keine oder nur sehr spät. Wo Europa fehlt, schlagen andere in die Kerbe. Ist es Wunder, dass der europäische Zusammenhalt wackelt wenn er augenscheinlich bei der ersten Krise über Bord geworfen wird? Die autoritären Systeme in Ländern wie Russland und China freuen sich, denn sie bekommen nicht nur Lob für ihr Krisenmanagement von internationalen Institutionen wie der WHO, sondern können nun noch als Samariter in der Not glänzen. Der Mangel an Solidarität schwächt die EU, es schwächt die Demokratien in Europa und es zermürbt die Legitimität all dessen, was sich Europa mühevoll aus den Trümmern zweier Weltkriege aufgebaut hat.
Wie kann das sein? Europa rühmt sich immer des besonderen Zusammenhaltes dieses Kontinents, der Jahrhunderte Schauplatz für Krieg, Leid und schrecklichste Dramen war. Heute halten wir zusammen in Europa, heißt es. in Zeiten realer Krisen anscheinend leere Worte. Die maßgeblichen Akteure in der Krise waren bzw. sind die nationalen Regierungen. Aus Brüssel kommt – wenig. Kein europäischer Krisenplan, kein Krisenmanagement, keine koordinierte Strategie im Umgang mit der Pandemie. Stattdessen balgen sich dort die Länder und können sich nicht auf europäische Maßnahmen zur Wirtschaftshilfe einigen – Stichwort Coronabonds (vormals Eurobonds).
Statt zu europäischer Koordination kam es zu nationaler Isolation. Frankreich und Deutschland verhängten Exportstopps für Medizinprodukte und Schutzmasken. Diese gehetzt getroffenen Regelungen führten zu Unverständnis, teilweise wurden Hilfslieferungen aus dem nichteuropäischen Ausland nach Italien aufgehalten. In Deutschland ist eine solche Lieferung nach Italien sogar verschwunden. Die vergleichsweise gut ausgestatteten Länder des Nordens haben die des Südens mal wieder hängen gelassen.
Pikanterweise sind es dieselben Länder, die Italien, Spanien und weitere Staaten vor zehn Jahren zu schmerzhaften Einsparungen in Ihren Sozialsystemen genötigt haben. Deren kaputtgesparte Gesundheitssysteme hatten nun nicht mehr die Kapazität, eine durch eine Pandemie ausgelöste Erkrankungswelle aufzufangen. Wohingegen in Ländern wie Deutschland, Niederlande oder Österreich die Gesundheitssysteme relativ gut ausgestattet sind. Auch dort herrschte bzw. herrscht die Angst vor einer vergleichbaren Situation wie in Norditalien Mitte bis Ende März. Daher hat unter anderem unsere Regierung unsere Technik und unsere Fachleute zurück gehalten. Dabei ist Hilfe stets dort geboten, wo die Not am Größten ist.
Die europäische Solidarität ist bereits an den direkten Folgen der Krise elendiglich zugrunde gegangen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, stirbt sie nun noch einmal an den mittelbaren Folgen der Pandemie. Auch wenn sich nun auf ein Ende der Gesundheitskrise hoffen lässt, ist allen klar: die wirtschaftlichen Verwerfungen der Pandemie sind gravierend und werden Armut, Verzweiflung und auch Tod zur Folge haben. Der europäische Binnenmarkt ist jedoch der Kern unserer Stärke und unsere Identität. Gerade exportstarke Länder wie Deutschland haben ein großes Interesse an der wirtschaftlichen Stärke unserer nächsten Nachbarn – sind sie doch unsere treuesten Kunden.
Doch auch hier herrscht wieder Uneinigkeit: Die nationalen Regierungen können sich nicht einigen, wie sie gemeinschaftlich die Wirtschaftskrise in Folge der Pandemie angehen wollen. Der EU-Finanzministerrat hat sich vor dem Osterwochenende zwar auf Corona-Hilfen verständigt, doch sind die Hilfstöpfe in Höhe von insgesamt ca. 540 Mrd. Euro an Bedingungen geknüpft. Die Geberländer wollen die Kontrolle über gewährte Kredite behalten. So dürfen die aus den Töpfen entnommenen Gelder nur für die Bewältigung von Pandemieschäden genutzt werden. Diese Regelung wurde vor allem aufgrund des Drucks seitens der Niederlande durchgesetzt, aber auch unser SPD-Finanzminister Olaf Scholz stimme dem zu. Das ist Solidarität mit gezogener Handbremse und damit ein Verhalten, wie wir es uns eigentlich nicht leisten können. Innerhalb unsere Partei sollte ein starkes Signal der Solidarität an Europa gehen, das sind wir unseren Freund*innen in unserem vielfältigen Kontinent schuldig und wäre auch ein Zeichen der Stärke und des Mitgefühls.