Die SPD ist schon oft verrissen worden. Kaum eine Partei eignet sich so sehr dazu. Die SPD ist die älteste Partei Deutschlands. Sie ist älter als die meisten Republiken der Welt. Weil sie ebenso lange da ist, war sie auch überall irgendwo involviert. Die gesamte Geschichte der modernen Gesellschaft lässt sich auch als eine Geschichte der SPD erzählen.
Wenn über die Sünden der SPD gesprochen wird, ob es Hartz IV, die Kriegskredite oder die Niederschlagung der Revolution war, die SPD gilt immer als alleiniger Akteur. Andere Parteien, Konservative, Liberale und Grüne, waren bestenfalls anwesend. Die weitläufigen politischen Stimmungen der Zeit sind unkontrollierte Naturgewalten, die SPD ist der Akteur der Geschichte. Je nach dem wie die Einstellung die*der Betrachter*in dann ist, war hat die SPD im Alleingang die Arbeiter*innen verraten oder im Alleingang Verantwortungsbewusstsein bewiesen.
Was auch immer die Bauchstimmung der Menschen der Gegenwart ist, war früher der „Kern der SPD“ und die Partei hat sich davon entfernt. Sie ist eine vage Projektionsfläche für Sehnsüchte nach einer glorreicheren Vergangenheit geworden. Ganz egal wie die Sehnsüchte aussehen.
Diese Theatralik ist eine, die die SPD auch intern mit sich herumträgt, immer wieder beflügelt und beteuert. Doch das hat auch rückwirkende Effekte auf die Geschichte der SPD. Zunehmend wird die Geschichte der SPD umgedichtet um als eine Legitimation der aktuellen Zustände herzuhalten. Dass die SPD mal eine revolutionäre, marxistische und sozialistische Partei war wird immer mehr aus der Geschichte rausgenommen. Die neue Lesung ist, dass die SPD immer schon eine Partei der Mitte war. Statt Karl Marx soll es nun Immanuel Kant und die protestantische Arbeitsethik sein, die die Parteigeprägt haben. Längst schon gibt es Leute, die von sich beteuern das Urgestein der Partei zu sein und sagen, dass die SPD nie links war, sondern immer konservativ mit einer Liebe zur Nation.
Aus der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung und ihrer Partei wurden sowohl die Arbeiter*innen als auch die Bewegung herausgenommen. Das, was heute als „ArbeitER“ bezeichnet wird, sind nicht länger die Massen der Menschen, die für ihren täglichen Lohn arbeiten müssen, sondern Häuslebesitzer*innen die die BILD-Zeitung als bodenständig bezeichnet. Keine Klasse von Menschen die von dem wirtschaftlichen Zwangsverhältnis der Lohnarbeit geprägt ist, sondern Leute aus allen Schichten, die sich irgendwie als „ArbeitER“ verstehen.
Es ist ganz egal ob der sozialdemokratische „ArbeitER“ bei Amazon schuftet oder Haupteigentümer*in eines internationalen Konzerns ist. Das Wichtige ist, dass dieser „ArbeitER“ sich dem vermeintlichen Kern der SPD verbunden fühlt und dieser besteht darin für Geld zu arbeiten oder arbeiten zu lassen.
Die Bewegung, die das Kaiserreich und den Kapitalismus stürzen wollte, wurde umgedichtet zur Hauptlegitimatorin der herrschenden Verhältnisse. Absegner*innen. Die SPD soll keinen Klassenkampf mehr führen, sondern durch Leistung und Engagement um die Gunst der Obrigkeit buhlen. Erst wenn die Springer Presse mit der Partei zufrieden ist, dann kann sich die Partei beruhigt zurück lehnen in dem Gefühl, dass die zufrieden sind, die sie für die Arbeiter*innenklasse hält.
Und die Partei hat all das mit sich machen lassen und es sogar aktiv betrieben. Ununterbrochen wird wiederholt, dass die Partei „zu intellektuell sei“, dass sie sich mehr „im kleinen kümmern“ müsse um die Probleme der Leute und die „Sprache der einfachen Leute wieder lernen müsste“.Die Wahrheit ist aber umgekehrt. Keine Partei in Deutschland ist auch nur ansatzweise so stark darin, die kleinen Probleme vor Ort zu lösen, aber keine Partei in Deutschland hat auch nur im Ansatz so eine Angst davor über diesen winzig kleinen Tellerrand hinauszudenken. Und keine Partei reagiert so neurotisch, wenn Kritik aus der konservativen Presse kommt. Ein einziger hämischer Kommentar aus der FAZ kann lang gehaltene Beschlusslagen umstürzen. Wer in der SPD versucht Planungen, Strategien und Konzepte die für mehr als eine Wahlperiode gelten sollen vorzuschlagen, und versucht diese gegen Kritik zu verteidigen, wird angeschaut wie ein irrer Utopist oder ein radikaler Quergänger. Wer beim ersten Quietschen der BILD-Kolumnist*innen nicht umgefallen ist, ist ein*e gefährliche*r Fanatiker*in.
Die sozialistische Geschichte der Partei ist dabei mehr oder weniger willkommener Kitsch, aber nichts aus dem auch nur in Irgendeiner Form eine ideologische Richtlinie gezogen werden darf. Die alten Lieder der Arbeiter*innenbewegung sind immer schön für die Theatralik, aber niemals gut für die inhaltliche Ausrichtung. Sie ist eine liebenswerte Schrulle der ältesten Partei Deutschland. Egal ob diese Lieder von Aufstand und Revolution handeln, solange sie nur von der SPD gesungen werden, kann jede*r sicher sein, dass der Aufstand und die Revolution nicht kommen werden.
Insofern ist die ewige Große Koalition an der Seite der CDU auch die ideale Position für diese SPD. Ein Posten, an dem sie sich eifrig und brav um allerlei Probleme kümmern darf, aber niemals in die Verlegenheit kommt eigenständig Entscheidungen fällen zu müssen. So kann sie sich immer für wichtige Dinge verantwortlich fühlen, ohne jemals Verantwortung zu übernehmen. Es wird sichergestellt, dass die CDU bei jedem Gesetzesentwurf und Vorschlag drüber schaut und der SPD sagt, ob sie brav war.
Somit ist die SPD vor allem eines: eine unpolitische Partei. Sie ist eine Partei für Leute, die die Theatralik der Macht und den Mythos des Kapitols lieben, aber politische Auseinandersetzung scheuen wie die Pest. Eine Partei für Leute, die mit furiosen Reden und aufbegehrerischem Mantra erreichen wollen, dass sie für ihr gutes Benehmen gelobt werden.