Deutschland verfehlt systematisch seine selbstgesteckten Klimaziele. Dieser Dauerzustand erregt heutzutage nicht nur die Gemüter der FridaysForFuture-Bewegung, sondern ist endlich in der Mitte der öffentlichen Diskussion angekommen. Aufgrund des Stillstands der letzten Jahre ist der Handlungsbedarf nun umso größer. Um nur ansatzweise eine Chance zu haben, die Klimaziele für 2030 zu erreichen, also die emittierte Menge an Treibhausgasen um 65% im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken, müssen innerhalb kürzester Zeit weitreichende Maßnahmen implementiert werden. Nach wie vor werden Klima- und Umweltschäden durch die Emission von Treibhausgasen (v.a. CO2) zulasten der Allgemeinheit externalisiert. Eine CO2-Bepreisung kann diesen Missstand beenden. Sie ist sicherlich nicht die Lösung aller Klimaprobleme. Wohl aber kann es keine Lösung ohne hinreichende CO2-Bepreisung geben.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, einen ausführlicheren Blick auf CO2-Bepreisungskonzepte zu werfen.
Warum die Ausweitung des europäischen Emissionshandels allein nicht ausreicht
In der CO2-Bepreisung stehen zwei verschiedene Denkschulen einander mitunter feindlich gegenüber. In der ersten wird ein CO2-Preis aktiv gesetzt, beispielsweise durch eine CO2-Steuer oder eine an Emissionen orientierte Energiebesteuerung. Die Menge des tatsächlich emittierten CO2 wird nicht explizit kontrolliert. Emissionsarme Technologien werden als Möglichkeiten, dem Preis auszuweichen, allerdings immer vorteilhafter und beliebter.
Die zweite Schule setzt nicht den Preis fest, sondern gibt eine maximale Emissionsmenge an. Der entsprechende Preis bildet sich dann in einem Markt, in welchem Emissionsberechtigungen (Zertifikate) gehandelt werden. Unbestreitbar charmant ist hier natürlich, dass Zwischenziele der Dekarbonisierung recht genau erreicht werden können, sofern man den verzerrenden politischen Einfluss mächtiger Lobbies einmal ignoriert. Dieses Verfahren wird in sogenannten „cap-and-trade“-Systemen wie dem Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) verwendet.
Befürworter des Emissionshandels stellen fälschlicherweise diese Mengensteuerung als, im Gegensatz zu preissetzenden Instrumenten, besonders marktwirtschaftlich und ökonomisch effizient dar. Das Hauptargument für einen im Zweifel von der Politik zu hoch angesetzten CO2-Preis ist allerdings seine sofortige Wirksamkeit. Außerdem kann die langfristige Entwicklung des Preises festgeschrieben werden und damit für alle Akteure Planungssicherheit geschaffen werden. Spekulationen auf einen Crash des Preises für CO2-Verschmutzung sind in diesem Rahmen nicht möglich.
Eine Hybrid-Lösung als Best-of beider Instrumente
Dieser inszenierte Antagonismus ist politisch interessant. Die lautstärksten Verfechter der Ausweitung des Emissionshandels sind häufig diejenigen, denen potenzielle soziale Konsequenzen ihrer Politik in anderen Feldern weitgehend gleich sind und die besonders gern Klimaschutz mit dem Kampfbegriff „Planwirtschaft“ diskreditieren. Man sollte also misstrauisch sein, insbesondere, da eine sinnvolle Kombination beider Instrumente leicht denkbar ist. Diese würde durch einen verschiedene Sektoren umspannenden Zertifikatehandel sicherstellen, dass weite Teile der Volkswirtschaft bis zu einem bestimmten Datum dekarbonisiert sind. Um die Lenkungswirkung der Bepreisung zu garantieren, zwischenzeitliche Wirkungslosigkeit zu vermeiden und den Akteuren Planbarkeit zu geben, damit sie frühzeitig notwendige Investitionen tätigen, müsste an zwei Stellen jedoch preissetzend eingegriffen werden. Konkret:
- Es wird ein Mindestpreis gesetzt, den Zertifikate im Emissionshandel nicht unterschreiten dürfen. Dieser steigt mit der Zeit an.
- In Bereichen wie z.B. Gebäude und Verkehr, die nicht sinnvoll in den Emissionshandel integriert werden können, wird der Preis mit einer CO2-Steuer gesetzt, die ebenfalls im Zeitverlauf steigt.
Warum ein einheitlicher Preis nicht immer die richtige Lösung ist
Marktgläubige Emissionshandelsbefürworter*innen sehen eine effiziente Dekarbonisierung über alle Sektoren hinweg nur dann gewährleistet, wenn ein sektorübergreifend einheitlicher CO2-Preis existiert. Damit versuchen sie fatalerweise ihre ideologische Fixierung auf kostenoptimale Lösungswege auch zur Bewältigung der Klimakrise anzuwenden, wo diese jedoch zum Scheitern verurteilt ist. Die Emanzipation von fossilen Energieträgern und die Vermeidung von Treibhausgasemissionen kennen nur ein Optimum: es muss so schnell gehen, wie irgendwie möglich. Klimaschutz muss effektiv sein und je länger er es nicht ist, desto kostspieliger werden die Folgeschäden des Nichtstuns.
Doch was bedeutet in diesem Zusammenhang Effektivität? Vereinfacht gesagt, dass der Umstieg auf klimafreundliche Technologien und die Vermeidung der Treibhausgasemissionen zeitgleich in allen Sektoren beginnen müssen, die handelnde Politik aber die unterschiedlichen Transformationsgeschwindigkeiten der verschiedenen Sektoren bei der Auswahl der Maßnahmen berücksichtigen muss. In jedem Fall ist zu unterscheiden, wer unmittelbar von der CO2-Bepreisung betroffen ist und wie diesem CO2-Preis durch klimafreundliches Verhalten ausgewichen werden kann. Die mediale Fixierung auf den Zusammenhang zwischen einer CO2-Bepreisung und sich verändernden Verbraucher*innen-Preisen lenkt von der Tatsache ab, dass im wettbewerblichen Bereich (Energiewirtschaft und Industrie) große Klimaschutzpotentiale schlummern, die nicht unmittelbar zu deutlichen Preissteigerungen für die Bevölkerung führen.
Betrachten wir einmal die zu erwartenden Effekte des oben genannten Vorschlags im Bereich der Energiewirtschaft sowie des produzierenden Gewerbes. Im Strombereich sind die Vermeidungskosten recht niedrig, da regenerative Energien inzwischen die günstigsten Stromerzeugungstechnologien sind. Außerdem herrscht in diesen Bereichen Wettbewerb. Fallen die Kosten der CO2-Bepreisung nennenswert ins Gewicht, können sich Firmen durch die Vermeidung (Verfahrensroutenwechsel in der Produktion etc.) unmittelbar einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Dieser Effekt ist umso stärker, wenn absehbar ist, dass die CO2-Kosten auch in Zukunft weiter steigen werden. Statt die Entwicklung zu verschlafen, wird frühzeitig in klimafreundliche Technologien investiert. Solange sich mehrere Produzenten des gleichen Produkts in einem mehr oder weniger funktionierenden Wettbewerb befinden, entstehen mit großer Wahrscheinlichkeit zwischenzeitlich keine gravierenden Mehrkosten, die sich in den Verbraucherpreisen niederschlagen.
Der Effekt, dass Verbraucherpreissteigerungen vermieden oder zumindest reduziert werden können, weil im Wettbewerb stehende Akteure vorübergehende Mehrkosten zulasten ihrer Gewinnmarge finanzieren, trifft in besonderem Maße auf die Energiewirtschaft zu. Bereits ein CO2-Preis von 40-60 €/t CO2 bewirkt nach den Marktmechanismen an der Strombörse einen Einbruch der Wirtschaftlichkeit von Braun- und Steinkohlekraftwerken. Klimafreundlichere Gaskraftwerke und andere emissionsärmere Stromerzeugungsformen würden gestärkt werden. Nach neuesten Studien würden weder für die Endverbraucher*innen noch für die Industrie nennenswerte Strompreissteigerungen entstehen. Zusammenfassend ist zu erwarten, dass vergleichsweise niedrige CO2-Preise von 40-60 €/t unmittelbar einen nennenswerten Klimaschutzeffekt im Bereich der Energiewirtschaft und Teilen der Industrie auslösen, ohne die Verbraucherpreise zu erhöhen.
Im Verkehrs- und Gebäudesektor sind die CO2-Verminderungskosten jedoch ungleich höher, und nur ein deutlich höherer CO2-Preis könnte Wirksamkeit entfalten. Inwiefern er dort dann zu einer finanziellen Mehrbelastung für die Verbraucher*innen führt, hängt beispielsweise stark davon ab, welche alternativen Verkehrsmittel dann zu welchen Kosten für die Nutzer*innen zur Verfügung stehen. Bezogen auf den Gebäudebereich besteht insbesondere für Mieter*innen die Schwierigkeit, dem CO2-Preis auszuweichen. Wenn der Eigentümer mangels Eigeninteresse nicht in klimafreundliche Heizsysteme/Wärmedämmung etc. investiert, ist nichts zu machen. Hier müssen entsprechende Einzelmaßnahmen entwickelt werden, die dieses Dilemma überwinden.
Welche Maßnahmen müssen den CO2-Preis flankieren?
Da Klimaschutz effektiv und sozial gerecht sein sollte, muss die Politik einen klaren Rahmen für Klimaschutz in den einzelnen Sektoren setzen und durch flankierende öffentliche Investitionen ergänzen. Beispiele wären etwa die Stärkung von Radverkehr, ÖPNV und schienengebundenem Nah- und Fernverkehr; Stärkung des EEG durch Abschaffung des Ausbaudeckels für Photovoltaik (PV) sowie Anhebung der jährlichen Ausbauziele für Windenergie und PV; Verschärfung der EU-Flottengrenzwerte für Pkw und Nutzfahrzeuge sowie Benennung eines Zieljahres, ab dem die Neuzulassung von verbrennungsmotorisch betriebenen Fahrzeugen verboten wird; Anreizsysteme, die den Kauf schwächer motorisierter Fahrzeuge fördern und den Trend hin zu immer stärker motorisierten SUVs u.a. umkehren. Letzteres erfordert eine entsprechende Reform der Kfz-Steuern. Von besonders großer Wichtigkeit ist ein ausgeklügelter und mieter*innengerechter Fördermechanismus für die energetische Sanierung von Gebäuden.
Marktgläubige würden nun einwenden, dass nur die kostengünstigsten Klimaschutzmaßnahmen rational sind. Ein breit angelegtes Investitionsprogramm in Verkehrsinfrastruktur und den Gebäudebestand dürfte allerdings sicherlich nicht kostengünstig sein. Auch hier muss man entschieden widersprechen. Wenn überhaupt ist Kostenminimierung ein nur innerhalb eines Sektors sinnvolles Kriterium, um Technologien zu vergleichen, die denselben Effekt haben. Als historisches Beispiel für denselben Irrglauben ist das marktgläubige (und falsche) Argument der EU-ETS-Befürworter, dieser habe die erzielten Emissionsreduktionen in der Energiewirtschaft zu verantworten. Dieses Argument blendet völlig die hervorragende Konzeption des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) aus, dem es durch langfristig festgeschriebene Förderung gelungen ist, den Ausbau der regenerativen Energien zu befeuern und dadurch Emissionen zu reduzieren. Das EEG in den frühen Fassungen ist damit ein Best-practice-Beispiel für flankierende Maßnahmen, die zu Entwicklungssprüngen bei klimafreundlichen Technologien führen, den Akteuren Planbarkeit und Investitionssicherheit geben, gleichzeitig verkrustete Strukturen und traditionelle Oligopole aufbrechen und damit der Volkswirtschaft eine neue Richtung geben. Unterbleiben derartige sektorspezifische Maßnahmen, besteht die Gefahr, dass die notwendige Transformation aufgeschoben wird. Kosten werden so nur zeitlich verschoben und gedrängt, weshalb sie dann schlussendlich deutlich schwerer zu schultern sein werden.
Die Pro-Kopf Zurückzahlung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung
Es wurde bereits angedeutet, dass ein CO2-Preis allein nicht ausreichen wird, um langfristig wirksame Investitionen anzureizen. Ein sich verändernder CO2-Preis wird jedoch als Rahmeninstrument benötigt, um Anreizsysteme zurechtzurücken. So kann er gewährleisten, dass günstiger erneuerbarer Strom Kohlestrom ersetzt und nicht, wie heute oft, Strom aus den klimafreundlicheren Gaskraftwerken.
CO2-Bepreisung ist unerlässlich, muss aber sozial gerecht gestaltet werden! Mittlerweile wird deshalb von vielen Seiten empfohlen, ähnlich wie in der Schweiz die Einnahmen aus der Bepreisung gleichmäßig pro Kopf rückzuerstatten. Dadurch würde man zwar die Möglichkeit verlieren, mit den Geldern klimafreundliche Investitionen zu tätigen, könnte jedoch andererseits mehr Akzeptanz für das Instrument schaffen.
Weitere Gründe sprechen dafür. Ein solches Modell ist gerecht, da faktisch jeder Person die gleichen Emissionen zustehen, eine Art CO2-Freibetrag für jede*n. Wird dieses Pro-Kopf-Emissionsbudget nicht überschritten, entstehen keine Mehrkosten im Vergleich zum Zeitpunkt vor Einführung der Bepreisung. Es sinkt zwar im Zeitverlauf, dafür aber in gleichem Maße für alle. Wer mehr verursacht zahlt drauf, wer weniger verursacht spart Geld. Statistisch gesehen bewirkt das Instrument so eine deutliche Umverteilung zugunsten geringer Einkommen. Es können natürlich dennoch Härtefälle auftreten, die gesondert ausgeglichen werden müssten.
Ein Beitrag von Caspar und Felix