A
Die SPD ist eine Arbeitnehmer*innenpartei. Dieses Selbstverständnis macht die Essenz unserer Parteikultur, unserer Inhalte und unseres Selbstbildes aus. COVID-19 wird auf dieses Bild erheblichen Einfluss haben. Denn die Krankheit wird die Arbeitswelt nachhaltig verändern. Die Pandemie führte nicht nur zu einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit Menschengedenken, sondern verändert auch langfristig wie Menschen in Zukunft arbeiten werden. Warum das so ist, erläutern wahrscheinlich folgende Fragen für eine Zeit nach Überwindung des Virus (oder anpassung an das Virus) recht treffend:
- Müssen wir Arbeitsplätze umbauen, um Social Distancing besser einzuhalten bzw. wieder von neuem zu ermöglichen?
- Wie holen wir Arbeitnehmer*innen wieder zurück an den Arbeitsplatz, nach Kurzarbeit oder Quarantäne? Jeder Fall ist anders, müssen wir also auf einer von-Fall-zu-Fall Basis arbeiten?
- Welche zusätzlichen Maßnahmen müssen für Arbeitnehmer*innen mit erhöhtem Risiko eingeführt werden?
- Wie geht man mit Arbeitskräften um, die Symptome zeigen?
- Sollen Arbeitnehmer*innen ständig getestet werden? Wer wertet die Tests aus? Gilt das auch für Besucher*innen und Gäste am Arbeitsplatz?
- Was bedeutet das ganze für den ÖPNV und die Personen, die von ihm abhängig sind um zum Arbeitsplatz zu gelangen?
- Können Arbeitsmaterialien nicht mehr geteilt werden? Ist dies das Ende des Großraumbüros und anderer Arbeitsstätten bei denen viele Menschen auf verhätnismäßig wenig Raum zusammen arbeiten?
Diese Liste an eher praktischen Fragen ließe sich beliebig verlängern, so zahlreich sind die Probleme die COVID-19 für die Arbeitswelt birgt. Politiker*innen und Unternehmer*innen müssen sich nun an die Lösung für viele dieser Fragen machen. Welche Rolle die SPD dabei einnehmen wird, wird fundamental wichtig sein für die zukünftige Rolle der Sozialdemokratie in Deutschland. Wie schaffen wir es, den Arbeitnehmer*innenschutz für diese neuen Herausforderungen anzupassen? Wie bringen wir Firmen dazu, auf Ihre Arbeitskräfte acht zu geben und womöglich selbst vorzusorgen? Das Virus wird die Arbeitskultur bei uns und voraussichtlich überall auf der Welt verändern. Die Debatte darum sollte möglichst bald beginnen. Denn neben den genannten kurzfristigen Effekten hat COVID-19 auch mehrere langfristige Effekte und die Pandemie hat auch aktuelle Prozesse enorm beschleunigt.
Da wäre als Erstes die Digitalisierung zu nennen. Social Distancing zwang Firmen, in Windeseile Infrastrukturen für effektives Home Office Arbeiten zu schaffen. Und nicht nur das, auch digitale Arbeitsplattformen, Prozesse für Videokonferenzen, Regeln, Guidelines etc. wurden erprobt und vielerorts für gut befunden. Diese nun bestehenden Infrastrukuren werden auch nach Anpassung an das Virus nicht wieder verschwinden. Das bedeutet: Selbst wenn die Möglichkeit bestünde, wieder zu einem Leben vor dem Virus zurück zu kehren, werden es viele Menschen gar nicht wollen, da sie sich mit dem nun eingeführten Arbeitsalltag arrangiert haben. Home Office bietet für den Lebensalltag vieler Menschen zahlreiche Vorteile. Man spart sich den Fahrtweg und gewinnt dadurch Zeit, man kann alltägliche Haushaltsaufgaben besser in den Tag integrieren und gerade für die Kinderbetreuung während der Pandemie ist es natürlich besser, zu Hause bleiben zu können. Generell führt mehr Home Office für viele wohl zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zudem hat in vielen Fällen das Home Office auch zu mehr “Beinfreiheit” geführt. Teamleiter*innen mussten gezwungenermaßen Vertrauen in ihre Mitarbeiter*innen setzen, was die Dynamik in vielen Teams verändert. Arbeitsteilung, projektbezogene Arbeit und Überwachung und Kontrolle von Erfolgen hat nicht mehr auf dem klassischen Wege funktioniert. Die Anpassung daran wird auch nach dem Virus erhalten bleiben.
Dies birgt aber auch Risiken für die Arbeitnehmer*innen. Home Office mag zu einer anderen Erwartungshaltung bezüglich der Verfügbarkeit führen. Mehr Flexibilität mag dazu führen, dass Angestellte* auch bis spät abends arbeiten. Darüber hinaus fehlt für viele auch die räumliche Trennung zwischen Arbeitsplatz und zu Hause, denn bei weitem nicht jeder hat daheim ein voll ausgestattetes Bürozimmer. Am heimischen Küchentisch zu arbeiten ist sicherlich reizvoll, auf Dauer allerdings anstrengend. Und das völlige Fehlen von räumlicher Abwechslung, gerade in Kombination mit sozialer Isolation kann sich auch negativ auf die mentale Gesundheit auswirken.
So gesehen hat COVID-19 wahrscheinlich zur weitreichendsten Revolution am Arbeitsplatz seit der Einführung der 5-Tage-Woche geführt. Alle müssen umdenken. Präsenz ist nicht mehr gleich Fleiß. Lange Dienstreisen werden nur noch punktuell durchgeführt, das Jetsetter-Leben vieler Manager*innen und Geschäftsleute grundsätzlich in Frage gestellt. All das ist auch ein Segen für die Umwelt. Die Globalisierung wird vielerorts kritisiert, da die Verletzlichkeit globaler Lieferketten offenkundig wurde. Auch das Wirtschaftsleben im weiteren Sinne wird sich daher nachhaltig verändern. Vielleicht wird die Welt durch COVID-19 wieder etwas größer.
Die Automatisierung wurde durch die Krise auch weiter beschleunigt. Zahlreiche Geschäftsführer*innen investieren nun massiv in Automatisierungs- und Digitalisierungsprozesse, um Ihre Unternehmen “krisensicher” für die Zeit nach dem Virus zu machen. Die Arbeitsplätze in Bereichen, die ohnehin von Automatisierung stark betroffen sind, geraten noch stärker unter Druck. In Deutschland sind bis zu 18% der Arbeitspätze dadurch gefährdet, viele dieser Jobs werden besonders häufig von Frauen ausgeführt.
Ebenso ist die Wahrnehmung von Arbeit betroffen. Viele Menschen haben erkannt, wie wichtig die Arbeitsplätze im Einzelhandel, der Lebensmittelindustrie, der Pharmaindustrie und im Gesundheits- und Pflegebereich sind. Hat das eine Abwertung aller anderen Industrien zur Folge? Wird diese geänderte Wahrnehmung dazu beitragen, die seit vielen Jahren bestehenden Missstände insbesondere im Pflegebereich endlich zu beheben? Klar ist, dass es bald zu Kontroversen Diskussionen darum kommen wird. Denn gerade die Menschen, die sich nun teilweise aufopferungsvoll um den Erhalt der Lebensgrundlage von uns Allen gekümmert haben, werden später zu Recht einen Ausgleich dafür fordern. Die Frage wird sein, wie wir als Gesellschaft damit umgehen werden.
Ein anderer Bereich, bei dem wir erst mittel- bis langfristig die Folgen der Krise zu spüren bekommen werden ist Bildung. Zeitweise konnten aufgrund der Maßnahmen weltweit über eine Milliarde Studierende und Schüler*innen nicht zum Unterricht gehen. Inwieweit das zu einem Aufschub der Abschlüsse und zu einer Verzerrung der Lernerfolge führen wird, ist nun noch gar nicht abzusehen. Definitiv ist die Bildung global gehörig ins Stocken geraten. Wie wir das wieder ins Lot bekommen, weiß noch kein Mensch.
Die Bürger*innen suchen in diesen Zeiten Orientierung und Lösungen für die aufgezählten Probleme. Und es wurden bei weitem nicht alle benannt, viele nur angerissen. Insbesondere auf die Arbeit, wie wir am Arbeitsplatz miteinander umgehen und welche Arbeit als wichtig erachtet wird hat COVID-19 enormen Einfluss gehabt. Nun ist es an der Politik, Lösungen aufzuzeigen und den Menschen den Weg in die Zukunft zu ebnen.
Ein Beitrag von Stefan