Am 26. Mai wählen wir das nächste europäische Parlament und noch nie war eine Europawahl so wichtig wie diese. Denn Europa steht am Scheideweg. Geht es zurück in ein Europa der Nationalstaaten, in dem jedes Land versucht, das Beste für sich herauszuholen oder geht es nach vorne in ein Europa der Zusammenarbeit und Solidarität?
Ich möchte, dass wir mutig und entschlossen nach vorne gehen. Ich kämpfe für die Vereinigten Staaten von Europa. Wir Jusos sind Vertreterinnen und Vertreter einer Generation, für die es nie eine Alternative zu einem vereinten Europa gegeben hat und für die es nie eine Alternative zu diesem Europa geben wird. Wir sahen unsere Zukunft immer in einem freien und gerechten Europa. Ein Europa in dem alle die gleichen Rechte und die gleichen Möglichkeiten haben. Diese Zukunft, dieses Europa dürfen wir uns nicht nehmen lassen!
Viel zu lange sind viele in unserer Generation davon ausgegangen, dass diese Zukunft mehr oder weniger gesichert ist. Sind davon ausgegangen, dass, obwohl die EU bei weitem nicht perfekt ist, wir uns in Europa eigentlich in die richtige Richtung entwickeln. In die Richtung einer europäischen Gesellschaft, die die Werte der Aufklärung, die auch die Werte der Sozialdemokratie sind, entschieden verteidigt: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Allerdings mussten wir in den letzten Jahren merken, dass diese Zukunft bei weitem nicht gesichert ist. Europa und die europäischen Werte werden angegriffen: Von außen von autoritären Staaten und Politikern, die die regelbasierte Weltordnung, für die die EU steht, untergraben wollen. Im Inneren von Nationalisten und von vorgeblich konservativen Parteien, die nationale Antworten auf offensichtlich europäische und globale Probleme suchen. Diese Parteien schüren irrationale Ängste und behaupten dann, die richtige Reaktion auf diese Ängste sei es, sich wieder in den angeblich sicheren Hafen der Nation zurückzuziehen. Darüber vergessen sie oder nehmen sogar mutwillig in Kauf, dass Nationalismus am Ende immer Krieg bedeutet. Sie setzen damit die wichtigste Errungenschaft der europäischen Einigung aufs Spiel: Frieden.
Aber wir können dagegenhalten in dem wir Europa verändern und stärken. Doch wir müssen jetzt handeln, denn bald ist es vielleicht schon zu spät. Wir dürfen nicht vergessen, wie knapp wir vor zwei Jahren an der Katastrophe vorbeigeschrammt sind. Wenn Marie LePen französische Präsidenten geworden wäre, dann wäre Europa am Ende gewesen. Wir haben schon viel zu lange gewartet. Die offensichtliche Lösung unserer Probleme in Europa liegt schon lange auf dem Tisch. Wir brauchen eine echte politische Union.
Die EU muss von Grund auf reformiert werden. Wir brauchen eine integrierte Union, die nicht dazu einlädt, die Mitgliedsstaaten immer gegeneinander auszuspielen. Denn die verschiedenen europäischen Krisen, aus denen die Populisten Profit schlagen, haben alle eines gemeinsam: sie hatten vermeintlich externe Ursachen, konnten aber nur so schlimm werden, weil die EU in ihrer jetzigen Verfassung inhärent instabil ist. Das Gebilde EU ist anfällig für externe Schocks und droht bei jedem Windstoß wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen. Das gilt es zu erkennen und das müssen wir ändern.
Im Gegensatz zum Rest der Welt war die Eurozone zum Beispiel in der Finanzkrise auf einzigartige Weise schlecht dafür gewappnet, auf die Krise zu reagieren. Als einziger Währungsraum verfügte sie nicht über die Möglichkeiten einer koordinierten Fiskalpolitik. Deshalb war die Krise in Europa viel schlimmer als in den USA, wo man ein koordiniertes Investitionsprogramm aufgelegt hat. Das bedeutet meiner Ansicht nach, dass wir ein europäisches Finanzministerium samt eigenem Haushalt brauchen. Nichts anderes. Außerdem muss diese Finanzunion von einer Sozialunion begleitet werden, die erstens wirtschaftliche Stabilität bringt und zweitens moralisch geboten ist. Eine europäische Arbeitslosenversicherung ist der erste wichtige Schritt in diese Sozialunion. Wir dürfen es nicht zulassen, dass bei der nächsten Finanzkrise wieder tausende Menschen in Südeuropa auf der Straße landen. Denn auch wenn es so mancher gerne hätte: Gerechtigkeit und Solidarität verlieren ihre Gültigkeit nicht an den Grenzen der Bundesrepublik.
Im Falle der zweiten großen Krise, der sogenannten Flüchtlingskrise, konnte es nur soweit kommen, weil wir mit dem Schengenraum eine Region haben, die keine inneren Grenzen kennen soll, die aber nicht über die Möglichkeiten verfügt, die eine echte gemeinsame Außengrenze mit sich bringen würde. Dass ein solches Konstrukt nicht stabil ist, ist offensichtlich. Wir brauchen also eine Außengrenze, die komplett europäisch verwaltet wird, mitsamt einer europäischen Migrations- und Asylpolitik. Der jetzige Zustand ist eine Schande für Europa. Dublin muss weg.
Die Ursachen der verschiedenen Krisen sind also vielfältig, die Lösung ist aber immer die gleiche: eine politische Union! Angefangen bei der Außenpolitik. Auf lange Sicht brauchen wir ein europäisches Außenministerium. Denn Europa ist unsere einzige Chance, in Zukunft eine Rolle in der Welt zu spielen. Alleine Europa kann tatsächliche Souveränität gewährleisten.
Diese Dinge müssen ganz selbstverständlich durch Gesetze geregelt werden, die in einem Parlament gemacht werden. Wir brauchen ein viel stärkeres Parlament, das auf soliden demokratischen Füßen steht. Daher muss in Zukunft bei der Wahl des Parlaments jede Stimme in Europa gleich viel zählen. Das Parlament muss die mächtigste Institution der europäischen Politik werden. Der Rat, in dem die nationalen Regierungen versuchen, jeweils das Beste für ihr Land rauszuholen, muss in seiner jetzigen Form abgeschafft werden und sollte in eine zweite, direkt gewählte Parlamentskammer überführt werden, ähnlich dem Senat in Amerika. Nur wenn wir das Parlament stärken, kann es gelingen, dass wir politische Macht in Europa dorthin bringen wo sie hingehört: in die Hände der Bürgerinnen und Bürger.
Das sind notwendige Bedingungen eines neuen Europas. Ja, natürlich ist das ambitioniert. Aber es ist keine bloße Träumerei, sondern es ist das, was notwendig ist, um Europa zu stabilisieren. Wir müssen unbedingt aufhören immer nur am kleinen Rad zu drehen, immer nur kleine Schritte zu tun, so wie es die Konservativen machen. Machen wir uns groß und seien wir laut! Deutschland braucht eine starke SPD. Europa braucht eine starke SPD. Wir müssen die zentrale progressive Kraft in Europa sein. Wir müssen zeigen, wie Europa sein könnte, wie es sein sollte. Der Glaube daran, dass eine bessere, eine gerechtere Welt möglich ist, und dass wir dazu beitragen können, das ist doch zentraler Teil unserer DNA. Besinnen wir uns mit dem Projekt Europa darauf zurück.
Wir müssen es sein, die zeigen, dass ein besseres, ein gerechteres ein sozialeres Europa möglich ist. Ein Europa der Bürger. Es genügt nicht länger zu sagen, dass man für Europa ist. Wir müssen sagen für welches Europa wir sind. Und ich sage, lasst uns Europa neu gründen und lasst uns am 26. Mai damit anfangen.
Ein Beitrag von Korbinian Rüger