Sarah Becke über Männer und Feminismus

Du bist Frauenbeauftragte der Jusos München, wie sieht deine Arbeit aus? 
 
Als Frauen*beauftragte sehe ich es als meine Aufgabe an, die wunderbaren Frauen*in unserem Verband in Ihren Zielen zu bestärken und zu unterstützen, weibliche Netzwerke zu knüpfen sowie das Patriarchat in unseren Reihen aber auch außerhalb aktiv zu bekämpfen. Wie das konkret aussieht? Ich veranstalte Vernetzungstreffen nur für die weiblichen Mitglieder, auf denen wir uns ganz entspannt kennenlernen und austauschen können. Diese Treffen bieten auch die Gelegenheit, über individuelle Ziele und Wünsche der Frauen* bei den Jusos und in der Münchner SPD zu sprechen. So können wir uns gegenseitig unterstützen, Feedback geben und ja, auch gezielt weibliche Solidarität und Strategien für Kandidaturen aufbauen. Neben den spezifischen Angeboten für Frauen* achte ich auf Sitzungen und Aktionen der Jusos München auf geschlechterbewusste Sprache, weise auf männliches* Redeverhalten oder auf unsere Quotenregelungen hin. Wir verstehen uns als feministischen Richtungsverband, aber es schadet nicht, wenn es eine Person gibt, deren Aufgabe es ist, die Umsetzung dieser Selbstverpflichtung kritisch zu begleiten. 
 
Im Gleichstellungsbericht, den du auf jeder Jahreshauptversammlung abgibst, sieht es, was die weiblichen Mitgliedszahlen angeht, nie so gut aus. Schaffen wir es auch als feministischer Richtungsverband nicht, Strukturen zu schaffen, die Frauen das Gefühl geben, sie könnten mit uns die Welt verändern? 
 
Da ist die Antwort in der Frage ja bereits enthalten, die Zahlen sagen klar Nein. Es gibt bei uns tolle, erfolgreiche Frauen* die ich aus vollem Herzen unterstütze, das möchte ich auch sagen. Jede unserer Vorstände und Listen, wie beispielsweise die für die Kandidaturen zum Stadtrat, sind selbstverständlich quotiert. Dennoch bleibt der Fakt der geringeren weiblichen Beteiligung, ganz klar. 
 
Ich persönlich glaube, dass es für die geringere weibliche Beteiligung in unserem Verband verschiedene Gründe und Ursachen gibt. Das beginnt bei der weiblichen Sozialisation, die immer noch weniger auf eine selbstbewusste Eigendarstellung ausgerichtet ist als beispielsweise die männliche*. Es geht um gerechte Zeit- und Arbeitsverteilung in Beziehungen, die zu Lasten von Frauen* geht. Es geht aber auch um Doppelstandards in unserer Gesellschaft. Frauen* werden immer noch kritischer bewertet und müssen mehr leisten als Männer, um als erfolgreich oder aktiv gesehen zu werden. Die sexistische Art und Weise, wie öffentlich über Frauen* in unserer Partei und generell in der Politik geredet wurde und wird, ist auch nicht gerade einladend. 

 
All den genannten gesellschaftlichen Mechanismen müssen wir mit unseren Strukturen entgegenwirken. Hierfür gibt es z.B. die verpflichtende Frauen*quote oder quotierte Redeliste auf allen Ebenen der Jusos. Dennoch reichen unsere Bemühungen de Facto noch nicht aus, um für Frauen* attraktiv zu sein. Ich denke, wir müssen noch mehr darüber nachdenken, wie wir junge Menschen ansprechen oder wie unsere Veranstaltungen organisiert sind. 3 Abendveranstaltungen bis 23 Uhr pro Woche sind nicht für alle Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen zu schaffen geschweige denn attraktiv. Wir können auch noch transparenter werden, was z.B. Ämter und Aufgaben bei den Jusos angeht. Ich denke, viele Frauen* schrecken eher vor der Übernahme eines Amtes zurück, weil sie den Eindruck haben, den Ansprüchen zeitlich oder inhaltlich vielleicht nicht genügen zu können. Wenn wir vorher ehrlich und in einer empowernden Art und Weise darüber sprechen, können solche Entscheidungen individuell leichter getroffen werden. Ich persönlich glaube, Frauen* können alles – wir müssen uns insgesamt mehr trauen, die Unterstützung der Männer aktiv einfordern und vorhandene negative Strukturen einreißen.   
 
Wir sind ein feministischer Richtungsverband. Heißt das nicht, dass bei uns alle Männer automatisch Feministen sind? 
 
Gegenfrage: was heißt es denn, feministisch zu sein? Meiner Meinung nach bedeutet Feminismus, die bestehenden (Geschlechter-)Rollen und Ungleichheiten, unter anderem zwischen männlich* und weiblich* sozialisierten Menschen in unserer Gesellschaft zu erkennen und aktiv zu bekämpfen. 

Dazu gehören auch die eigenen Verhaltensmuster, Überzeugungen und die Strukturen in der wir leben, kritisch zu hinterfragen. Feminismus geht daher für mich auch immer einher mit der Kritik am Kapitalismus, aber auch mit dem Versuch zu verstehen, wo ich als einzelne Person mit meinem Verhalten dieses System der vielfältigen Ungleichheiten aufrechterhalte. Das Ziel in unserem Verband muss es sein, gemeinsam zu verstehen, wo und wie wir das Patriarchat angreifen und schwächen können. Ich glaube also nicht, dass man durch Eintritt in irgendeine Gruppe oder Verband automatisch zum Feministen oder Feministin wird. 

Feministin zu sein heißt für mich, z.B. immer wieder an meinen Rollenvorstellungen zu arbeiten. Meine eigene Sozialisation auch mal aktiv zu überwinden, also z.B. mich auch für Redebeiträge zu melden, obwohl mich das nervös macht. Andere Frauen* nicht als Konkurrentinnen zu sehen, obwohl einem das oft eingeredet wird, sondern funktionierende Netzwerke zu spinnen. 

An Männer, die sich als Feministen begreifen, kann ich nur appellieren: hört euch an, was die Frauen* in eurer Umgebung oder in der Sitzung zu sagen haben, noch besser fordert sie zum Sprechen auf. Hinterfragt eure eigenen Redebeiträge und Bewertungsmaßstäbe. 
 
Es gibt Menschen, die sagen, dass Männer gar keine Feministen sein können. Stimmst du dem zu? 
 
Das Patriarchat zwängt uns alle, Männer*, Frauen*, alle Menschen, in enge, ungleiche und unfaire Rollenbilder. Halten wir uns nicht an diese Vorstellungen, die sich zugegebenermaßen viel zu langsam, aber immerhin etwas zu bewegen scheinen, unterliegen wir sozialen Restriktionen. Das Absurde daran ist, dass selbst die Bewertung dieses abweichenden Verhaltens geschlechterspezifisch ungleich und unfair ausfällt. 

Ein plakatives Beispiel: Männer*, die Elternzeit nehmen und sich aktiv um ihre Kinder kümmern, werden gefeiert. Frauen*, die Vollzeit Arbeiten und Kinder haben, müssen sich rechtfertigen. Was will ich damit sagen: Auch Männer* profitieren vom Feminismus, auch sie würden durch die Auflösung der vorherrschenden (Geschlechter-) Rollen mehr Freiheit gewinnen. Das gemeine: Männer* sitzen aufgrund ihrer geschlechtlichen Rollenzuschreibung häufiger auf gesellschaftlich relevanten Posten. Männer* dominieren in Politik, Medien und Wirtschaft. Es fällt ihnen im bestehenden System also leichter, gesellschaftliche Denkmuster zu ändern und Veränderungen herbeizuführen. Wenn sie aber aktiv an einer für alle gerechteren Gesellschaft arbeiten, hieße das auch, dass sie genau diese privilegierte Stellung, die gesellschaftlichen Vorteile der männlichen Rolle (wie z.B. die automatische Verbindung von Männlichkeit und Machtausübung, eine Frau die Macht hat und benutzt, wird zumindest als etwas Besonderes gesehen) am Ende aufgeben oder zumindest mit Frauen* gleichberechtigt teilen müssten. 

Ich glaube, dazu sind immer noch viel zu wenig Männer* bis in die letzte Konsequenz ehrlich bereit. Ich glaube aber, wie bereits beschrieben, dass wir gemeinsam zu Feminist*innen werden und das Patriarchat überwinden können. 
 
Was tut unser Verband in der feministischen Arbeit um Männer zu bilden? 
 
Bei uns gibt es Seminare und Veranstaltungen zur feministischen Theorie und gesellschaftlichen Situation der Geschlechter in Deutschland und international. Auf größeren Veranstaltungen gibt es Frauen*vernetzungs- und Männer*reflektionstreffen. Feminismus und Frauen*förderung ist bei uns immer Thema, die männliche* Rolle wird dabei meiner Meinung nach noch nicht stark genug diskutiert und beleuchtet. Aber das möchte ich im nächsten Jahr angehen. Es wird Zeit, dass wir Frauen* stärker männliche* Solidarität und Unterstützung einfordern. 
 
Gemeinsam wollen wir das Patriarchat zerschlagen. Geht das nicht auch ohne Männer? 
 
Manchmal träume ich schon von einem Matriarchat.ᅠMeistens versuche ich aber zwischen der männlichen Rolle, die mich oft nervt und zur Verzweiflung bringt und den (männlichen*) Personen selbst zu unterscheiden. Ich wünsche mir, das wir eine Gesellschaft erschaffen, in der alle Menschen frei sind, sich zu entfalten. Auch Männer*. Ich glaube, dass funktioniert nur zusammen. Die männliche* (und weibliche*) Sozialisation müssen WIR, ja auch Männer aktiv und willentlich, aber dringend überwinden. An dieses gemeinsame Ziel erinnere ich die Männer* dann auch mal gerne. 
 
Momentan erstarkt wieder ein Antifeminismus, der vor allem von rechten Männern bedient wird. Warum ist das so? 
 
Ich denke, momentan gibt es in unserer Gesellschaft die Entwicklung, Hass und Menschenverachtung aussprechen zu können, ohne dafür gesellschaftlich sanktioniert zu werden oder auf ausreichend Gegenwehr zu stoßen. Ein Beispiel hierfür ist die AFD, die Fremdenfeindlichkeit und Rassenideologie als politische Meinung ausgibt und damit in die Parlamente gewählt worden ist. 

Antifeminismus und Frauen*hass gab es immer in unserer Gesellschaft, das zeigt die Alltäglichkeit z.B. der Gewalt gegen Frauen*. Femizide als Gipfel des Frauen*hasses sind in Deutschland Realität, auch wenn sie nicht so genannt werden.

Wenn die Grenzen des Sagbaren gezielt nach rechts verschoben werden, sind Frauen* und feministisch aktive Menschen ein einfaches Ziel. In unserer Gesellschaft ist die Ausgrenzung und Abwertung vieler Personen, unter anderem Frauen*, selbstverständlich. Frauen*verachtende Witze werden nicht nur akzeptiert, sondern von vielen Personen immer noch als lustig, als eine normale Art von Humor wahrgenommen. Da fällt eine schrittweise Verschiebung der Aussagen bis zum klaren Frauen*hass nicht schwer. 

Ich glaube, Antifeminismus ist für rechte Männer* ein einfaches Feld, einfach weil er so akzeptiert ist. Gleichzeitig gibt es aber auch so viele neue, tolle Frauen* und Personen, die öffentlich für Feminismus und gegen das Patriarchat kämpfen und Mut machen. Feminismus und die Bekämpfung vieler struktureller Ungleichheiten, die auf Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe beruhen, sind heute auch ein Teil des Mainstreams geworden. Vielleicht ist der Antifeminismus rechter Männer zumindest in Teilen ein Zeichen dafür, dass sie tatsächlich vor einer offenen, stärker durch Frauen* und andere marginalisierte Gruppen geprägten Gesellschaft Angst haben? Ich würde es mir wünschen. 
 
Einfach, weil es einem manchmal so vorkommt: Haben Männer Angst vor starken Frauen? 
 
Ja, ich denke schon, obwohl ich den Begriff der starken Frau* nicht mag. Das impliziert, dass Frauen* irgendwie normalerweise schwach sind und nur manche Frauen* stark. Meistens werden Frauen* als stark bezeichnet, wenn sie das machen, was “normalerweise” Männer*machen. Ich glaube, Frauen* sind Individuen mit ganz unterschiedlichen Talenten, Wünschen und Zielen. Männer* haben Angst, dass wir diese mit all unsere Kraft ausleben und Ziele erreichen, die sie auch gerne erreichen möchten oder aufgrund des Patriarchats bis jetzt meistens ohne weibliche Konkurrenz, schon erreicht haben. Ich versuche es so zu sehen: wenn eine Person Angst vor mir hat, dann sieht sie mich als ernsthafte Konkurrenz, als Bedrohung der eigenen Privilegien und des eigenen Erfolgs. Punkt für mich. 

Ein Gespräch geführt von Carmen