Pia von der Sicheren Wiesn

Du bist dieses Jahr zum ersten Mal als Freiwillige bei der Sicheren Wiesn dabei. Was genau ist das? 
 
Die Sichere Wiesn ist eine Aktion von IMMA e.V, von Amyna e.V. und dem Frauennotruf München. Es gibt auf der Wiesn einen Anlaufpunkt (Security Point) für Mädchen* und Frauen*, die sich in den unterschiedlichsten Notsituationen befinden. Angefangen bei zu viel getrunken und Freund*innen verloren, das Handy hat keinen Akku mehr, die Tasche wurde geklaut, bis hin zu Belästigung, Bedrohung oder sogar Vergewaltigung und K.O. Tropfen. Was aber tatsächlich in wenigen Fällen vorkommt. Die Aktion will aber auch die Wahrnehmung der Wiesngäste oder der Münchner*innen stärken was sexuelle Übergriffe betrifft. Und natürlich Zivilcourage fördern. 

Warum hast du dich dort als Freiwillige gemeldet? 
 
Ich habe soziale Arbeit studiert und schon in verschiedenen Bereichen gearbeitet und Erfahrungen gesammelt. Aber noch nie im Bereich Mädchen* und Frauen*arbeit. Trotzdem hat es mich immer schon interessiert. Als ich jünger war, habe ich schon die Werbung in der Bahn gesehen und mich gefragt: “Aha, was ist das? Was passiert da eigentlich genau bei der Sicheren Wiesn?“. Durch eine Bekannte von mir, die mit mir studiert hat, und auch schon länger bei der Sicheren Wiesn mit dabei ist, habe ich dann erfahren, dass noch Freiwillige gesucht werden. Ich hatte noch nichts vor während der Wiesn, deswegen habe ich mir gedacht: „Wieso nicht. Ich probier es mal aus!“.  
 
Gibt es ein Auswahlverfahren? Und muss man bereits Erfahrung in der Betreuung solcher Fälle mitbringen? 
 
Ja. Es gibt eine Art Auswahlverfahren. Die Ausschreibung an sich ist natürlich erst mal für alle zugänglich. Grundvoraussetzung für die Bewerbung ist allerdings ein Studium der sozialen Arbeit, Psychologie oder was Vergleichbares. Dann muss man offen sein und Freude an der Kommunikation haben. Auf Menschen muss man ebenfalls zugehen können. Das alles ist super wichtig bei der Arbeit am Security Point. Zudem muss man flexibel sein in seiner Zeitplanung während der Wiesn, da die Schichten natürlich oft bis spät in der Nacht gehen – bis endlich alle raus aus den Zelten sind und die Wiesn endlich zumacht. Gute Englischkenntnisse sind auch von Vorteil. 

Viele Frauen* und Mädchen* die an den Security Point kommen sind Touristinnen und verstehen kein Deutsch. An sich braucht man aber keine Erfahrung in der Betreuung oder in der Arbeit mit Mädchen* und Frauen*. Als Basis reicht das Studium aus -würde ich behaupten. 

Im zweiten Schritt gibt es ein persönliches Gespräch in dem geschaut wird, ob man wirklich gefestigt ist, die Voraussetzungen mitbringt und geeignet für den Job ist. 

Bei der sicheren Wiesn ist man im Zweifel Extremsituationen ausgesetzt. Warum glaubst du, dass du damit umgehen kannst? 
 
Ich glaube ich kann ganz gut mit Extremsituationen umgehen, weil ich eine längere Zeit als Nachtbereitschaft in einer Jugendwohngruppe für hauptsächlich geflüchtete Jugendliche gearbeitet habe. Ohne ins Detail gehen zu wollen gab es einige Situationen, die ich in der Nacht zu bewältigen hatte und ich habe das erstens ganz gut hinbekommen und zweitens ganz gut verarbeitet. 

 
Außerdem ist es so, dass wir über ein ganzes Wochenende eine Schulung bekommen haben, an dem wir solche Extremsituationen besprochen haben und geguckt wurde:  „Aha was könnte passieren und wie kann man damit umgehen?“ 

Am Security Point selbst ist es so, dass man immer zu zweit im Team arbeitet. Sprich, eine neue Freiwillige und eine die schon länger dabei ist. Damit man gar nicht erst in die Situation kommt überfordert zu sein oder gar nicht mehr weiß, was man tut. Deshalb habe ich mich von Anfang an sehr sicher und aufgehoben gefühlt. 

Falls die Situation eintreten sollte, dass im Gespräch mit einer Frau* rauskommt, dass sie tatsächlich vergewaltigt wurde, gibt man den Fall auch sofort an eine Hauptamtliche ab. Von Amyna e.V. und vom Frauennotruf sind immer Vertreterinnen* am Security Point, die sich um solche Fälle kümmern. Die haben im Berufsalltag mit solchen Fällen zu tun und sind speziell geschult. Das gibt einem dann auch noch mal ein Gefühl von Sicherheit. 

Ich habe also schon eine super gute Einführung bekommen, ich weiß was auf mich zukommen könnte und bei Extremsituationen habe ich die Sicherheit, dass jemand da ist, die sich mit solchen auskennt. Ich bin gut vorbereitet für die Sichere Wiesn. 
 
Ihr musstet auch lernen, wie man sich im Zweifel verteidigt. Macht das ein mulmiges Gefühl? 
 
Bei der Schulung haben wir einen Tag auch Selbstverteidigung gelernt. Das hat aber nicht nur auf das „sich selbst verteidigen“ abgezielt, sondern auch darauf, zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen. Nähe, Distanz, wie weit kann eine andere Person gehen, wie nah kann dir jemand kommen bevor man sich unwohl fühlt. Das war ein großer Teil der Schulung. Erst gegen Ende kam dann ein kleiner Selbstverteidigungsteil. 

Es macht mir aber kein mulmiges Gefühl, weil am Security Point an sich nur Frauen* und Mädchen* sind, die ja selber in einer Notlage reingelassen werden. Für mein Leben in München muss ich ehrlich sagen, dass ich mich noch nie in Gegenden aufgehalten habe, in denen ich mich unwohl und  nicht sicher gefühlt habe. Das heißt, dass das, was wir gelernt haben, tatsächlich nur mir geholfen hat mich selbst besser kennenzulernen, mein Selbstbewusstsein zu stärken und mir zu zeigen was ich in einer gefährlichen Situation tun könnte. Aber ein mulmiges Gefühl habe ich sicher nicht.  
 
Gehst du sonst normal auch auf die Wiesn? 
 
Ja, ich gehe normal auch auf die Wiesn. Ich hab Spaß daran. Die letzten Jahre war ich nicht mehr so viel da. Das lag aber auch daran, dass es mir einfach zu teuer war und ich es nicht einsehe 12 Euro für eine Maß zu zahlen bzw. mich um fünf in der Früh vors Zelt zu stellen damit ich einen Platz bekomme. Aber ansonsten ja, mir macht die Wiesn Spaß. Zelt macht Spaß, rumlaufen und Sachen entdecken, Fahrgeschäfte fahren – finde ich alles super.  
 
Hast du Angst, dass sich durch deine Erfahrungen dort dein Blick auf das Oktoberfest und die Gesellschaft verändert? 
 
Teils teils. Ich habe noch gar keine Ahnung was ich im Endeffekt wirklich mitbekomme und was alles so passieren kann. Als Blick hinter die Kulissen und um Sachen mitzubekommen, die man als normale Wiesnbesucherin*, die einfach nur feiert und im Zelt Spaß hat, vielleicht gar nicht so wahrnimmt, ist das natürlich spannend. Auf der anderen Seite ist es ja genau das, was die Aktion Sichere Wiesn vermitteln will – Ein Bewusstsein dafür schaffen möchte. Den anderen Menschen auf der Wiesn zu zeigen: „Hey, es ist nicht alles cool und spaßig. Sondern es passieren auch wirklich unschöne Dinge manchmal. Achtet auf eure Mitmenschen, habt ein Bewusstsein dafür und helft euch gegenseitig!“.  Das wiederum finde ich dann schön zu sehen und das gibt einem im Endeffekt auch Sicherheit und verändert den Blick, aber auf eine positive Art und Weise. Vor allem wenn man sieht, wie viele freiwillige Frauen* dort auch arbeiten und ihre Zeit dafür investieren die Wiesn für Frauen* und Mädchen* zu einem besseren Ort zu machen. 
 
Was müssen wir gesellschaftlich tun, damit es solche Einrichtungen wie die Sichere Wiesn nicht mehr gibt? Kann man das überhaupt erreichen? 
 
Ich würde behaupten, dass es in unserer jetzigen Gesellschaft utopisch ist zu sagen, dass es so Aktionen wie die Sichere Wiesn nicht mehr geben muss. Vor allem, das hatte ich ja auch schon in der letzten Frage angeschnitten, ist die Sichere Wiesn ja genauso dafür da, ein Bewusstsein zu schaffen und zu Zivilcourage zu ermutigen. Belästigungen und Vergewaltigungen sind leider nicht nur auf der Wiesn, sondern auch im alltäglichen Leben an der Tagesordnung und es passiert. 

Daher hab die Augen offen, entwickel ein Bewusstsein dafür und trau dich einzuschreiten und was zu sagen, wenn du Situationen bemerkst, die in die Richtung gehen könnten. Man muss auch gar nicht soweit gehen, aber wenn du jemanden siehst, dem es nicht gut geht, der alleine unterwegs ist, geh hin und frag ob du helfen kannst. Das kostet nichts. Es gibt dir ein gutes Gefühl, du hilfst der anderen Person und genau durch so ein Bewusstsein und die Stärkung der Individuen glaube ich, dass man viel erreichen kann und dass dadurch ein großer Schritt getan wird. 

Ein Interview von Carmen mit Pia