Wir haben eine Krankenschwester (43) gefragt, wie sie die derzeitige Lage in der Coronakrise bewertet.
Nichts beschäftigt uns alle gerade so wie der Coronavirus. Inwiefern macht sich das auch deutlich bei Dir in der Klinik bemerkbar?
Auch im Klinikalltag ist das sehr deutlich spürbar. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden deutlich verschärft, so soll Patientenkontakt z.B. nur noch mit FFP2 Masken erfolgen und der Besucherverkehr wurde ausnahmslos eingestellt. Diese Maßnahmen sind an sich sinnvoll, stellen uns aber auch wieder vor neue Herausforderungen. Durch die Knappheit an Schutzmaterialen, sind wir darauf angewiesen diese auch länger zu verwenden als die Herstellerangaben zu verwenden. Dies birgt natürlich gesundheitliche Risiken und auch die sich ständig ändernden Vorschriften des Robert-Koch-Instituts sorgen nicht gerade für ein verstärktes Sicherheitsgefühl.
Zudem wurden die geriatrischen Stationen in unserem Haus (139 Betten) komplett geschlossen und gesammelt in ein kleineres Krankenhaus im Nachbarlandkreis verlegt, um diese Risikogruppe besser schützen zu können. Da seit Beginn der Coronakrise nur noch absolut notwenige Operationen durchgeführt werden und dies auch nur in einem anderen Klinikum, ist auch der Betrieb von chirurgischen Stationen in unserem Haus vorübergehend eingestellt worden. Dies bedeutet effektiv, dass Personal und Notfallequipment wie z.B. Beatmungsgeräte, ebenfalls auf andere Kliniken verteilt werden.
Da ich normalerweise in einer Belegabteilung arbeite, in welcher sich unser Patientenklientel aus chirurgischen, orthopädischen und HNO-Fällen zusammensetzt, wurde auch unsere Station vorübergehend geschlossen.
Somit wurde ich von meinem normalen Arbeitsumfeld in die extra für coronaerkrankte Personen umfunktionierte Klinik in den Nachbarlandkreis versetzt. Dies bedeutet auch für mich persönlich eine erhebliche Veränderung.
Wie geht Deine Klinik mit der Situation um? Schichteinteilung? Normaler Betrieb? Personelle Aufstockung?
Die momentane Unplanbarkeit des Alltags wirkt sich natürlich auch hier aus, indem noch mehr Flexibilität von den Mitarbeitern gefordert wird. Aufgrund von Krankheitsfällen und sich ständig ändernden organisatorischen und rechtlichen Bestimmungen werden Dienstpläne oft täglich geändert. Die Möglichkeiten von 12h-Diensten und verkürzten Ruhezeiten wurden bis jetzt Gott sei Dank noch nicht wahrgenommen.
Was passiert, wenn eine deiner Kolleg*innen erkrankt?
Sobald kleinste Symptome auftreten (z.B. Halsschmerzen) wird die betroffene Person sofort nach Hause geschickt und für einen nasalen und oralen Abstrich angemeldet. Bei einem positiven Ergebnis erfolgt zwei Wochen häusliche Quarantäne und diese gilt solange bis der/die betroffene Mitarbeiter*in zwei negative Abstriche vorweisen kann. Wenn Symptome bei Menschen aus dem selben Haushalt auftreten, müssen diese ebenfalls getestet werden und die Quarantäne einhalten.
Es wird häufig gesagt, das Gefährliche am Coronavirus sei nicht der Virus selbst, sondern die Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems. Wie siehst du das?
An sich finde ich es vernünftig, dass man am Anfang erstmal einen Schritt zurückgemacht hat und versucht hat die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft überblicken und eindämmen zu können. Allerdings muss man sich nun die Frage stellen ob die gesundheitlichen Auswirkungen so gravierend gewesen wären, wie nun die finanziellen. Die Überlastung des Gesundheitssystems durch das Virus wurde in Deutschland erfolgreich abgewendet, jedoch wird auch hier wegweisend sein wie stark die finanziellen Folgen für das Gesundheitssystem sein werden und ob sich dadurch langfristig etwas in der Struktur und Finanzierung ändern wird.
Siehst du die Gefahr nur für bestimmte Risikogruppen (z.B. Diabetes- oder Adipositas-Erkrankte) oder für viele verschiedene Altersgruppen?
Die hauptsächliche Gefahr durch das Virus besteht meiner Meinung nach wirklich für Risikogruppen wie immungeschwächte, alte und bereits vorerkrankte Personen. Vereinzelt gibt es natürlich auch schwere Verläufe bei vermeintlich gesunden Personen, jedoch beläuft sich die Hauptgefahr wirklich auf die bereits bekannten Risikogruppen.
Warum haben wir deiner Meinung nach geringere Todeszahlen als z.B. Italien oder Spanien?
Dies hat meiner Meinung nach mehrere Gründe. Zum einen, dass Deutschland ein sehr starkes und finanziell überlegenes Gesundheitssystem hat im Vergleich zu den aufgezählten Ländern. Zum anderen hatten wir auch einfach mehr Zeit uns besser darauf vorzubereiten und auch, dass wir mit Österreich ein gutes Vorbild für mögliche Sicherheitsvorkehrungen hatten. Außerdem verzeichnete Italien bereits im Januar eine ungewöhnlich starke Grippewelle, welche rückblickend betrachtet auch schon der Anfang der Coronawelle gewesen sein könnte die nur lange unerkannt blieb, da man erst im Februar darauf testete.
Inwiefern bewertest Du die getroffenen Maßnahmen? Findest Du, dass die Bundes- und Landesregierungen richtig handeln?
Das finde ich im Moment noch schwierig zu beurteilen, da wir noch nicht wissen wie es Ländern wie Schweden, die sehr verhalten mit Sicherheitsvorkehrungen und davon auch erst etwas später betroffen waren, langfristig gehen wird. Die wirtschaftlichen Folgen der von der Regierung getroffenen Schutzmaßnahmen werden massiv sein und es ist auch noch nicht absehbar was für globale Folgen diese Krise mit sich bringen wird, aber es hat meiner Meinung nach den Zweck, unser ohnehin schon am Limit laufendes Gesundheitssystem für den Moment zu schützen, erfüllt. Allerdings sind auch in diesem Bereich die langfristigen Folgen noch nicht absehbar, da dafür fast alles andere was normal Geld einbringt lahmgelegt wurde.
Ein paar persönliche Fragen: Hat die derzeitige Situation Auswirkungen auf dein privates Leben, z.B. wenn du nicht auf der Station arbeitest?
Auf jeden Fall. Mein Leben ist im Moment sehr aus der Balance geraten. Ich bin aufgrund der gegebenen Arbeitsbedingungen in der Pflege nur 75% angestellt und arbeite als Ausgleich noch in einem Cafe auf 450€-Basis. Diese Arbeit lag nun für lange Zeit ebenfalls lahm und nun ist es fraglich ob das Unternehmen nach der Corona-Krise noch bestehen bleibt. Auch andere private Ausgleiche, welche ich normal brauche um meine Arbeit überhaupt ausüben zu können sind im Moment aufgrund der Ausgangsbeschränkungen erschwert, meine Arbeit mit den an Corona erkrankten Patienten, bringt mich jedoch noch mehr an meine Grenzen als meine übliche Tätigkeit auf der Belegstation. Auch dass meine Mutter, welche alleine in Österreich lebt, einen Herzinfarkt hatte und wir sie nur sehr eingeschränkt, erst seit kurzem und nur unter strengen Auflagen zu Hause besuchen dürfen, zerrt sehr an mir. Genau wie alle, wünsche auch ich mir, dass wir hoffentlich sehr bald wieder zur Normalität zurückkehren können und sich die langfristigen Folgen der Krise in Grenzen halten.
Findest du, dass sich durch die Coronakrise das Bild von außen auf deinen Beruf, auf den Klinikalltag, auf die Arbeitsbedingungen o.ä. ändert bzw. geändert hat? Was wünschst Du Dir vielleicht von der Gesellschaft oder Politik?
Berufe im Gesundheitswesen haben im Moment mehr Beachtung gefunden. Allerdings bezweifle ich sehr, dass dies langfristig etwas an unseren Arbeitsbedingungen oder gar etwas an unserer Bezahlung ändern wird. Sobald die Krise vorbei ist, werden alle wieder mit anderen Dingen beschäftigt sein und krampfhaft versuchen die übrigen Folgen einzudämmen. Dann wird es wieder selbstverständlich sein, dass wir alle ohne zu meckern unserer Arbeit nachgehen und uns mit dem einmaligen 500€-Bonus zufriedengeben. Natürlich wünsche ich mir, dass die Gesellschaft und vor allem die Politik begreifen, WIE systemrelevant unsere Berufsgruppe ist und dass unser Gesundheitssystem am Limit läuft und es DRINGEND Handlungsbedarf gibt, jedoch befürchte ich, dass es wirklich solange unverändert weiterbetrieben wird, bis es vollends zusammenbricht und wir dann nicht mehr in der Lage sein werden es zu reparieren.
Vielen Dank für das Interview!