Der sogenannte Gender Pay Gap, die Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes zwischen Frauen* und Männern* im Angestelltenverhältnis, beträgt in Deutschland seit 2015 konstant 21%1.
Heißt, die Ingenieurin Maxi verdient bei Firma X durchschnittlich 21% weniger als der Ingenieur Max, der in der gleichen Firma tätig ist. Nun werden einige sofort innerlich aufschreien und sich denken „Stimmt nicht!“. Naja gut, stimmt so auch nicht. Tatsächlich können solche Schlussfolgerungen über Lohnunterschiede zwischen Personen im gleichen Beruf, mit ähnlicher Tätigkeit sowie Bildungsabschluss nicht anhand dieser 21% gezogen werden, da es sich hierbei um den unbereinigten Gender Pay Gap handelt.
Dieser wird jährlich nach europaweit einheitlichen Vorgaben berechnet, hierbei bleiben jedoch – wie es das Statistische Bundesamt formuliert – „ursächliche Faktoren“2 unberücksichtigt. Um diesen strukturellen Faktoren – wie Berufen, Beschäftigungsumfang, Bildungsstand, Berufserfahrung, oder dem geringeren Anteil von Frauen* in Führungspositionen, Rechnung zu tragen, wird alle vier Jahre der bereinigte Gender Pay Gap ermittelt, indem jener Teil der Lohnlücke herausgerechnet wird, der auf diese Aspekte zurückgeführt werden kann.
Der bereinigte Gender Pay Gap in Deutschland beträgt noch 6% (Stand: 2014).3 Häufig wird in diesem Zusammenhang dann von dem „unerklärten“ Anteil des Gender Pay Gap gesprochen. Das Statistische Bundesamt merkt hierbei auch an, dass diese 6% eine Obergrenze darstellen, der erklärte Teil also größer und der bereinigte Gender Pay Gap folglich geringer sein könnte, wären weitere Einflussfaktoren ermittelbar.4
Der Begriff „unerklärt“ verweist hier auf eine Ausgangsfrage. Die Frage danach, warum Frauen* weniger verdienen als Männer*. Aber ist denn tatsächlich so viel erklärt und vor allem geklärt, wenn wir sagen, dass Lohnunterschiede zwischen Frauen* und Männern* lediglich darauf zurückzuführen seien, dass es geschlechterspezifische Branchen mit unterschiedlichen Gehältern gibt, Frauen* mittleren Alters häufiger über weniger Berufserfahrung verfügen, da sie einige Jahre in Teilzeit tätig waren, um 1,575 Kinder großzuziehen? Sollten damit nicht die eigentlichen Fragen beginnen? Denn wenn wir uns auf den bereinigten Gender Pay Gap fokussieren und strukturelle Unterschiede als ursächlich akzeptieren, übersehen wir womöglich die ungleichheitsstiftenden Mechanismen dahinter.
Gehen wir einige der Faktoren, die einen Großteil des Lohnunterschiedes zwischen Frauen* und Männern* rechnerisch erklären, doch einmal schrittweise durch.
Was die geschlechterspezifische berufliche Segregation betrifft, wird deutlich, dass auch 2019 noch viele Branchen von einem Geschlecht dominiert werden. In technischen Bereichen ist der Anteil an Männern besonders hoch, wie beispielsweise in der Maschinen- und Fahrzeugtechnik (89%), oder Informatik-, Informations- und kommunikationstechnischen Berufen (85%).6 Im Sozial- und Gesundheitswesen hingegen, wo die Löhne meist niedrig sind, ist der Anteil an Frauen* hoch.
Während noch 15% der Angestellten in der Altenpflege männlich sind7, finden sich in der Kindertagesbetreuung schon nur noch 6.4% Männer*8. In den von Männern* dominierten Berufsgruppen wird tendenziell mehr verdient.9 Diese scheinbar geschlechterspezifischen Unterschiede in der Berufswahl können zwar durch die branchenspezifischen Lohnunterschiede Teile des Gender Pay Gap erklären, sollten bei uns jedoch gleichzeitig die Fragen hervorrufen, weshalb wir auch heute noch „Männer*- und Frauen*berufe“ finden und woran es liegt, dass in Branchen mit einem hohen Frauen*anteil die Bezahlung meist geringer ausfällt. Hierzu kommt, dass Studien gezeigt haben, dass Löhne in „Männer*berufen“ im Schnitt sogar sinken sobald mehr Frauen* diese ergreifen – was jedoch nicht daran liegt, dass diese generell schlechter bezahlt werden, sondern Frauen* den gleichen Beruf für weniger Geld ausüben.10
Umso höher wir die Hierarchieebenen hinaufblicken, umso weniger Frauen* können wir erspähen. Zwar lag der Anteil der Frauen* in Führungspositionen 2017 bei 29,2%, es fanden sich jedoch auch hier wieder große Unterschiede zwischen den Branchen.1 Besonders extrem ist es in den 160 Unternehmen der drei Börsenindizes Dax, MDax und SDax, in denen von knapp über 700 Topmanager*innen Posten 61 von Frauen* bekleidet werden. Und auch hier stellt sich eine weitere Frage: Warum finden wir auf den Spitzenpositionen immer noch viel mehr Männer*, trotz wachsendem Anteil an Frauen mit höherem Bildungsabschluss, Geschlechterquote und Karriereförderprogrammen für Frauen*?
Um die eigene Karriere voran zu treiben bedarf es Erfahrung und Zeit. Die meisten Führungskräfte kommen daher um die Vollzeitbeschäftigung vermutlich nicht herum. Im vergangenen Jahr waren Frauen* allerdings fast viermal so häufig in Teilzeit tätig als Männer*.3 Begründungen für die reduzierte Erwerbstätigkeit unterschieden sich dabei stark zwischen den Geschlechtern. Fast die Hälfte der Frauen* war aufgrund von persönlichen oder familiären Verpflichtungen in Teilzeit beschäftigt, während bei Männern die Teilnahme an Aus- oder Weiterbildungsmaßnahmen die häufigste Ursache darstellte.14
Dies lässt vermuten, dass Kinderbetreuung (oder die Pflege anderer Familienmitglieder) immer noch mehrheitlich von Frauen* gestemmt wird. Betrachtet man daher explizit Erwerbstätige mit Kindern, finden sich immense Unterschiede hinsichtlich des Beschäftigungsumfangs. 2017 waren Mütter, die in Partnerschaften lebten, zu 71% in Teilzeit beschäftigt, wohingegen es unter den Vätern nur 6% waren.1 Damit arbeiten Väter sogar häufiger in Vollzeit als kinderlose Männer.
Von werdenden Eltern hört man häufig, dass die Person mit dem geringeren Einkommen daheimbleiben wird – aus einer ökonomisch-rationalen Perspektive durchaus verständlich, häufig ist das jedoch die Mutter. Und damit dreht sich die Spirale weiter: geringeres Gehalt führt dazu, dass Frauen* häufiger die Kindererziehung übernehmen, was gleichzeitig auch bedeutet, dass ihre Karriere pausiert, sie weniger Berufserfahrung sammeln und längere Zeit als Teilzeitkraft arbeiten, was ihnen längerfristig einen beruflichen Aufstieg mit höherem Gehalt erschwert.
Man könnte vermuten, dass sich diese Benachteiligung mit zunehmendem Alter des Kindes auflöst. Einkommensunterschiede zwischen Vätern und Müttern bleiben allerdings scheinbar bis zur Volljährigkeit der Kinder bestehen. Frauen* begeben sich damit in ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Besonders mit zunehmendem Alter macht sich das bemerkbar, wenn Renten durch Erziehungszeit und längere Teilzeitphasen niedriger ausfallen. Daher zeigen Analysen auch, dass die finanzielle Ungleichheit zwischen Frauen und Männern sogar größer ist, wenn die Renten verglichen werden (Gender Pension Gap 2012: 52,9%).
Erklärt scheint damit auch hier herzlich wenig zu sein, denn warum kommt es einem in dieser ach so aufgeklärten Gesellschaft immer noch fast selbstverständlich vor, dass Mama daheimbleibt und Papa das Geld nach Hause bringt?
Somit scheint tatsächlich nicht zwingend explizite Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, sondern vielmehr strukturelle Ungleichheit ursächlich für die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern. Wenn im öffentlichen Diskurs die bestehende Lohndifferenz von 21% im Hinblick auf die deutlich niedrigere bereinigte Pay Gap jedoch müde belächelt, als unwissenschaftlich abgestempelt oder gar als populistisches Druckmittel der „Emanzen“ diffamiert wird, hat dies den Beigeschmack der Verharmlosung.
Die Erklärungen, die der bereinigte Gender Pay Gap uns vorgaukelt zu liefern, sollten uns vielmehr dazu anregen, weitere, ursächlichere Fragen zu stellen, die nicht nur unsere heteronormativen Denkmuster betreffen sollten oder die gesellschaftlichen Einstellungen zu Feminismus und Emanzipation reflektieren, sondern auch unser eigenes, alltägliches Handeln hinterfragen müssen.
Die Einführung des Mindestlohnes und der „Frauenquote“ sowie der Ausbau der Kinderbetreuung und das Rückkehrrecht aus Teilzeit waren notwendige Schritte. Braucht es für die Zukunft nun aber mehr Projekte wie den Girl´s Day, weiteren Ausbau der Kinderbetreuung, bessere Bezahlung in von Frauen dominierten Branchen als Signal, Geschlechterquoten nicht nur in der Führungsetage oder Gleichstellungsgesetze ähnlich wie in Island2, um ein Umdenken und vor allem „Umhandeln“ zu erreichen? Wenn wir von “nur“ 6% Lohndifferenz sprechen, verschleiern wir die kausalen Mechanismen und hindern uns selbst daran Ursachenforschungen für die grundlegenderen Fragen zu betreiben.
Ein Beitrag von Charlie