Nun ist es meine Aufgabe, hier eine Kolumne über „politische Theorie“ zu schreiben. Und als das Startthema wurde mir dann auch noch das Ding mit dem Arbeitswert zugeschoben.
Leute, die sich in einem linken politischen Kontext mit dem Wort „Arbeitswert“ beschäftigt haben, ahnen wohl schon in welche Richtung dieser Text geht: irgendwas mit Marx. Und das stimmt auch, ich werde hier durchaus mehrere Leinwände an Text über die Marxsche Kritik am Kapitalismus loswerden. Aber bevor wir uns damit beschäftigen wie und warum abstrakte Zahlen an Arbeit und Produkte geklebt werden ist es vielleicht auch sinnvoll einmal über „Wertschätzung“ zu reden.
Die Wertschätzung von Arbeit umfasst sehr viele emotionale Komponenten und das Wort „Wertschätzung“ taucht in der Regel mit einer Verneinung auf. Das passiert in Sätzen wie „Meine Arbeit wird nicht (richtig) wertgeschätzt.“. Der gegenteilige Spruch findet sich fast nur auf Fragebögen zur Arbeitszufriedenheit. Es scheint also eine Grenze zu geben an der sich Leute wertgeschätzt fühlen und sich nicht dazu veranlasst fühlen überhaupt noch darüber zu reden. Sicherlich gibt es Leute auf dieser Welt, die nach immer mehr und mehr Wertschätzung/Bewunderung streben, für die allermeisten Menschen scheint es aber ein stabiles Niveau von Wertschätzung zu geben mit dem sich die Leute zufriedengeben und einfach nicht darunterfallen wollen. Für die die darunter fallen hingegen ist der Mangel an Wertschätzung jedoch mit sehr viel Frustration und Zorn oder sogar Verweiflung verbunden.
Aber was hat diese emotionale Wertschätzung mit Löhnen zutun? Nun, im Gegensatz zur Wertschätzung können wir Löhne durchaus in Zahlen festschreiben und damit allerlei Arithmetik machen. Außerdem scheint es für Löhne keine wirkliche Obergrenze zu geben, man denke nur an die Gehälter von DAX-Vorständen. Dennoch zeigt sich bei den Löhnen ähnlich wie bei der Wertschätzung, dass es ein bestimmtes Lohnniveau gibt, ab dem die Menschen einigermaßen zufrieden mit ihrem Lohn sind. Klar wünschen sich alle immer ein bisschen mehr Lohn, aber Studien haben gezeigt, dass es im Zusammenhang zwischen Einkommen und empfunden Lebensglück zwar anfangs eine fast erschütternde Zwangsbeziehung gibt, die aber ab einem bestimmten Niveau aufhört. Das ist das Niveau an dem Menschen keinen wirtschaftlichen Stress mehr erleiden, das heißt sie keine drängenden Geldsorgen mehr haben und sich hin und wieder einen kleinen Luxus leisten können. Ab diesem Einkommensniveau macht Geld nicht mehr glücklich. Bis dahin ist es absolut notwendig.
Das bedeutet für uns erstmal zwei Dinge:
Erstens, scheint es so etwas wie einen „angemessenen“ oder „guten“ Lohn tatsächlich zu geben, der nicht in unendliche Höhe steigen muss um Menschen nachhaltig glücklich zu machen.
Zweitens, ist es bei der Diskussion von „fairen“ Löhnen notwendig alles mitzudenken was dazu beiträgt den wirtschaftlichen Stress von Menschen zu reduzieren. Dazu gehört dann eben nicht nur das Netto vom Brutto, sondern die Verfügbarkeit von Sozialen Sicherungen, Medizin, Rente, Schulen, ÖPNV. Deswegen werden wir in diesem Artikel einen sehr abstrakten Lohnbegriff verwenden der auch über das hinaus geht was Karl Marx in seiner Zeit beschrieben hat. Lohn ist in diesem Text nicht nur die Überweisung auf das Konto, sondern auch die über Steuern und Abgaben finanzierte öffentliche Daseinsvorsorge.
Nachdem wir das alles geklärt haben beginnen wird nun endlich mit dem allseits beliebten Thema der Theorie von Werten:
Im kapitalistischen Realismus unserer Gegenwart ist es üblich jeglichen Wert über irgendeine Form von Markt zu bestimmen. Wir lernen von Kindheit an, dass der Wert einer Ware über Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Etwas zynischer wird das formuliert: „jedes Produkt ist wert was der Käufer dafür zu zahlen bereit ist.“ Diese Marktwertüberlegung findet sich nicht nur bei Produkten wieder, sondern auch bei Arbeitskräften. Wir glauben dass Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt die Löhne bestimmen. In einer abstrahierten Version findet sich das Marktargument sogar in der Kunst: „der Wert liegt im Auge des Betrachters!“
Dabei sollte etwas hier einmal ganz notwendigerweise festgestellt werden. Die Vorstellung dass Angebot und Nachfrage allein für die Preis-/Lohn-/Wertgestaltung zuständig sind, ist offensichtlich falsch.
Natürlich schwanken Preise hin und her, besonders an der Börse. Aber für alle von uns die täglich einkaufen gehen ist es ganz offensichtlich und unverkennbar, dass ein Laptop mehr Wert ist als ein Radiergummi. Sollte jemals ein Laptop einen geringeren Preis erzielen als ein Radiergummi dann liegt das daran, dass er so veraltet ist, dass er faktisch redundant ist, oder dass es irgendeinen absolut zwingenden Ausverkauf gibt. Aber jedes funktionierende Unternehmen wird natürlich versuchen, seine Produktionskosten durch Einnahmen zu decken. Diese Produktionskosten sind natürlich einerseits durch die Rohstoffpreise und Investitionen bestimmt, aber noch viel mehr und deutlicher durch die Lohnkosten der Arbeiter*innen.
Arbeit und Wert sind also komplett sind damit unauslöschlich miteinenander verknüpft und verbunden. Das ist eines der wenigen Dinge in denen sich Karl Marx und Adam Smith (halbwegs) einig waren und es braucht eine ganz leidenschaftliche neoliberale Verbohrtheit um das auszublenden.
Adam Smiths Arbeitswerttheorie geht davon aus, dass Menschen, die ihre Waren auf einem Markt tauschen immer abschätzen wie viel Zeit sie selbst bräuchten, um eine Ware herzustellen und daraus herleiten wie viel sie bezahlen würden. Dieser Marktwert kann zwar mit Angebot und Nachfrage schwanken, aber im Grunde ist der reale Wert einer Ware festgelegt durch die Arbeitszeit die notwendig war, um das Produkt herzustellen. Dadurch sorgt das natürliche Gleichgewicht eines ungestörten Marktes für ein faires Einkommen für alle entsprechend ihrer Arbeitsleistung.
Marx übernimmt die grundsätzliche These des Arbeitswertes (die damals auch weitestgehend Konsens war) aber ergänzt sie um einige wichtige Kritik an Smiths politischer Ökonomie. Marx stellt fest, das die Teilnehmer*innen und Verhandlungspartner*innen an den Märkten keineswegs gleichberechtigt oder gleichdenkend sind. Er sieht, dass die Menschen in der Wirtschaft zwei unterschiedliche Rollen einnehmen. Aus diesen beiden Rollen gehen die zwei Klassen hervor, die für Marx‘ Theorie vom Klassenkampf entscheidend sind: Die Bourgeoisie und das Proletariat.
Die Bourgeoisie ist die Gruppe von Menschen die Produktionsmittel besitzt, also Maschinen, Landgüter und Fabriken. Da die Bourgeoisie all ihre Produktionsmittel nicht selbst bewirtschaften kann muss sie Arbeitskräfte einstellen, damit die Waren und damit neue Werte herstellen. Diese erzeugten Waren und Werte sind dann jedoch erst einmal im Besitz der Bourgeoisie, bis sie am Ende der Produktionskette an die Endverbraucher verkauft werden. Die Bourgeoisie wird in all diesem Prozess versuchen Gewinn zu erwirtschaften. Das heißt die Waren für mehr Geld zu verkaufen als sie ihren Arbeitskräften an Lohn ausbezahlt. Diese einbehaltene Geldmenge ist der Mehrwert.
Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Gewinn- und Profitorientierung keineswegs eine Sache von „Gier“ oder „Boshaftigkeit“ ist, sondern etwas was für das funktionieren eines Unternehmens im Kapitalismus absolut notwendig ist. Ein Unternehmen muss immer wachsen. Aber auch wenn die Bourgeoisie nicht durch Boshaftigkeit getrieben ist, stehen ihre Interessen denen des Proletariats grundsätzlich gegenüber.
Das Proletariat, dass sind die Leute, die keine Produktionsmittelbesitzen und darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft an die Bourgeoisie zu verkaufen. Sie erhoffen sich dafür einen angemessenen Lohn, den sie dann im Supermarkt ausgeben können, um der Bourgeoisie Waren abzukaufen, die sie selbst und andere Proletarier*innen hergestellt haben. Da sie diese Waren aber in der Regel für mehr Geld kaufen müssen als sie selbst für die Herstellung an Lohn ausgezahlt bekommen würden fließen ununterbrochen Werte vom Proletariat zur Bourgeoisie. Das führt zu einer relativen Verelendung der Massen, während gleichzeitig immer mehr Kapital in den Händen von immer weniger Menschen konzentriert wird.
So zumindest der Einführungstext in die marxisitische Kritik am Kapitalismus.
Kritische Leser*innen werden jetzt sofort und zurecht einwerfen, dass das alles ja gar nicht so einfach ist. Sie werden feststellen, dass der allgemeine Wohlstand in den letzten Jahrhunderten durchaus gewachsen ist und dass es alle möglichen seltsamen Beschäftigungsverhältnisse gibt, die so gar nicht in diese simplen Kategorien von Bourgeoisie und Proletariat passen.
Die kritischen Leser*innen haben auch mit all dem Recht und das ist etwas womit sich sogar der umtriebige Marx selbst beschäftigt hat. Sein Hauptwerk „Das Kapital“ besteht ja nicht umsonst aus drei dicken Wälzern.
Dazu seien drei Dinge gesagt: Die Einführung des Kapitalismus in einem Land geht notwendigerweise einher mit dem Wachstum von Betrieben, aus der wiederum eine Industrialisierung folgt. Die Industrielle Produktionsweise ist enorm produktiv; besonders dann, wenn man sie mit den vorhergegangenen Kleinbetrieben vergleicht (Auch das ist etwas wo Marx und Smith sich einig waren). Dadurch kommt es zu einem riesigen Warenangebot und die relative Verarmung kann sich anfühlen wie eine absolute Wohlstandszunahme. Das heißt aber nicht, dass die relative Verarmung nicht stattfindet. Überall dort wo der Kapitalismus eingeführt wird ziehen Menschen von alten Landhäusern in die Mietshäuser der Großstädte um. Das heißt sie verlieren ihren Besitz.
Das zweite was zu sagen ist, ist dass viele Staaten, insbesondere die in Europa und Nordamerika, trotz aller Kritik, einen erheblichen Umverteilungs- und Subventionsaufwand leisten, um der relativen Verelendung entgegen zu wirken. Wir reden gerne über den Sozialstaat als sei er ein Ding der Vergangenheit und es stimmt, dass dieser Sozialstaat stark abgebaut wurde, aber er ist noch immer da und die Leistungen sind umfangreicher als in sehr weiten Teilen der Welt. Durch diese von Gewerkschaften und Sozialist*innen erkämpfte Umverteilung wird es überhaupt erst möglich, dass einem der Kapitalismus in Europa behaglich vorkommt.
Und das dritte was zu sagen ist, führt uns zurück zum Anfang nämlich zur „Wertschätzung“ von Arbeit. Wir wissen alle, dass nicht jede Arbeit gleich wertgeschätzt wird und die Leute mit Ungerechtigkeiten ziemlich zufrieden sein können, solange sie am besseren Ende der Ungerechtigkeit stehen. In Deutschland erinnern sich viele sehr romantisch an die Nachkriegsjahre als es angeblich faire Löhne in Deutschland gegeben hat. Dabei wird aber leider übersehen, dass damals ein erheblicher Teil der Arbeit (fast alles was Pflege betrifft) von unbezahlten Hausfrauen erledigt wurde. Es wird übersehen, dass der spätere Arbeitskräftemangel in Deutschland durch unfair bezahlte Gastarbeiter*innen ausgeglichen wurde, deren Nachkommen bis heute unter schlechterer Bezahlung leiden. Es wird übersehen, dass der einzige Grund warum wir uns mit dem „fairen“ Lohn überhaupt so ein buntes und breites Warenangebot kaufen können, darin besteht, dass Arbeiter*innen in der sogenannten Dritten Welt einen sehr unfairen Lohn bekommen.
Unternehmen im Kapitalismus müssen Gewinne erwirtschaften. Das bedeutet: für jede Person die „fair“ bezahlt wird, muss eine Person an anderer Stelle „unfairer“ bezahlt werden. Und es gibt sehr viele Möglichkeiten sich diese unfaire Bezahlung schön zu reden. Sexismus, Rassismus, Ignorieren der sogenannten dritten Welt gehören da sowieso dazu. Was auch dazu gehört ist die Abwertung ganzer Branchen, wie bei der Reinigung, oder eine schlechte Bezahlung für Praktikant*innen und Auszubildende, weil die angeblich noch lernen. Es gibt Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit, Schwarzarbeit. Die Bibliothek von Dingen, die getan werden, um die von den Gewerkschaften ausgehandelten fairen Löhne auch in Deutschland zu unterlaufen.
Und das ist auch nötig. Denn der Moment, an dem alle Menschen der Welt fair bezahlt würden, also gemäß dem Wert, den sie durch ihre Arbeit erzeugen, wäre der Moment an dem der gnaze Kapitalismus zusammenbrechen würde. Es gäbe schlicht keine Möglichkeit mehr den Mehrwert aus einem Betrieb abzuschöpfen. Es gäbe keinen Grund mehr für die Bourgeoisie zu investieren, weil es sich für Privatpersonen nicht mehr lohnen Produktionsmittel zu besitzen.
Dann müsste das Proletariat selbst unternehmerisch tätig werden. Es müsste die Wirtschaft und die Produktionsketten selbst organisieren und in einem aufwendigen demokratischen Prozess die Erzeugnisse fair auf der Welt verteilen. Das wäre dann eine Gesellschaft die Karl Marx als Sozialismus bezeichnet. Aber das ist ein ganz anderes Kapitel.
Ein Beitrag von Tim