Wie den meisten wohl mittlerweile bewusst ist, leben wir auf einem sterbenden Planeten. Klar kann man die Hoffnung haben, dass die weltweiten Hitzewellen, Dürren und Brandkatastrophen des Jahres 2019 selbst vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung eine Ausnahme waren und dass die nächsten Jahre wieder mehr der „Normalität“ von 2014-2017 entsprechen. Dann haben wir noch Zeit zu handeln, bevor auf Erden alles in einer Teufelsspirale abwärts läuft.
Aber was immer auch sei, wir müssen handeln. Jetzt und hier. Nur eine Einschränkung gibt es. Wie euch vielleicht allen bewusst ist: „Der ökologische Wandel muss sozial gestaltet werden.“
Wenn ihr auch der Meinung seid, dass der ökologische Wandel sozial gestaltet werden muss, dann habt ihr hiermit einem Preis gewonnen für die durchschnittlichste Meinung auf dem Planeten Erde.
Bisweilen nervt mich diese Meinung, weil meistens keine Konsequenzen daraus folgen. Es werden kaum Vorschläge gemacht wie der ökologische Wandel sozial zu gestalten ist, nur die vage Forderung dass es muss.
Es nervt mich aber auch, weil die Aussage irgendwie impliziert dass sozial alles im Reinen sei und nur der ökologische Wandel droht das perfekte soziale Gefüge durcheinander zu bringen. Aber das ist doch nicht der Fall. Wir haben offensichtlich eine riesige soziale Ungleichheit auf diesem Planeten. Wir haben offensichtlich eine Konzentration von immer mehr Kapital in immer weniger Händen. Und wir hatten vor kurzem erst eine Weltfinanzkrise in deren Folge beinahe einige Staaten kollabiert wären. Jetzt steht die nächste Rezession und womöglich Krise vor der Tür. Gepaart mit dem Brexit, den Handelskriegen und all dem anderen Wahnsinn, der gerade läuft, könnte die nächste Wirtschaftskrise nicht nur die EU, sondern die ganze Weltgemeinschaft in eine Teufelsspirale ziehen, die in Krieg, Diktatur und Massenflucht mündet. Das Ende der Zivilisation wie wir sie kennen.
Der Unterschied zwischen den Debatten über Ökonomie und Ökologie ist, dass uns in der Debatte über das Wirtschaftssystem nicht bewusst ist, dass uns die Zeit davonläuft. Alle wissen irgendwie, dass die nächste Krise kommt, aber sie kommt bestimmt nicht morgen. Dass alles sehr schnell gehen kann, wenn das Kartenhaus der Wirtschaft zu fallen beginnt, wird schnell ignoriert. Doch rational betrachtet, gibt es einen dringenden Handlungsbedarf unsere Wirtschaft gerechter (und damit stabiler) auszugestalten.
Leider können wir aber sozialpolitisch nicht tun und lassen was wir wollen. Wohlstand ist eng an Verbrauch gekoppelt und damit an die ökologische Frage. Man könnte also fordern, dass „der soziale Wandel ökologisch gestaltet werden muss!“
Wenn aber beide Themen eine solche Dringlichkeit haben und so von einander abhängig sind, dann liegt es nahe das ganze von vorn herein zu koppeln und einen „sozial-ökologischen Wandel“ zu fordern. Genau das ist es auch was unter dem Label „Klimagerechtigkeit“ von Initiativen wie FridaysForFuture diskutiert wird.
Aber ich glaube das Problem sitzt noch tiefer. Denn es ist ja nicht so dass die großen wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zufällig gleichzeitig auftreten. Da gibt es einen offensichtlichen Zusammenhang, auch wenn sich unser Gehirn oft dagegen sperrt.
Das Wirtschaftssystem, in dem wir leben ist auf konstantes „Wachstum“ angewiesen, weil ohne Wachstumsversprechen Investitionen ausbleiben. Dieses Wachstum ist so notwendig für das Wirtschaftssystem, dass Panik ausbricht, wenn für eine Weile nicht gewachsen wird.
Das ist auch verständlich. Das Wort „Wachstum“ hört sich sehr schön an, weil es an technischen Fortschritt denken lässt und an Wohlstand. Doch erstaunlicherweise hat „Wachstum“ im kapitalistischen Sinn nur indirekt etwas damit zu tun. Bei Wachstum geht es selten um die Befriedigung von vorhandenen Bedürfnissen, sondern um Überproduktion und die Erschaffung von unnötigen und ungewollten Klump besteht, der nur mit aggressiven Marketingkampagnen an die Käufer*innen gebracht werden kann.
Sicherlich haben Wohlstand und technischer Fortschritt etwas mit Wachstum zu tun, aber im Wesentlichen besteht das Wachstum in einer ununterbrochenen Produktionssteigerung, durch die ständige Zufuhr von neuem Geld, Arbeitskräften und natürlichen Ressourcen.
Aber weil der Kapitalismus wachsen muss, um zu funktionieren, muss er eben auch schrittweise alle verfügbaren Arbeitskräfte und Ressourcen mobilisieren und ausbeuten. Das ist keine Frage von Moral, sondern einfach die Art und Weise wie das System funktioniert.
So hat der Kapitalismus über die letzten Jahrhunderte jedes Land und jeden Kontinent der Welt erschlossen. Doch jetzt da jedes Land und jeder Kontinent erschlossen ist, wird es immer schwieriger weiter zu wachsen. Doch der Kapitalismus muss weiter wachsen und damit er weiter wachsen kann, wurden viele der sozialen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegungen abgebaut und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wurde wie noch nie zuvor vorangetrieben.
Seit den 1980er Jahren wird breit und öffentlich über die globale Erwärmung diskutiert. Schon damals wurden die gleichen Rezepte zur Lösung des Problems vorgeschlagen wie heute. Schon damals gab es die technischen Möglichkeiten zur weltweiten und drastischen Reduktion der Treibhausgasemissionen. Schon damals versuchte man das alles mit dem sozialen abzuwägen und einen langsamen Umstieg zu ermöglichen. Stattdessen ist der Verbrauch von fossilen Energieträgern rapide gestiegen und die Sozialsysteme wurden abgebaut.
Die Wahrheit ist: Die Erneuerbaren Energien waren nie ein Ersatz für die Kohle, sondern immer nur ein Zusatz für mehr Wachstum.
(Deutschland schiebt die Schuld da gerne auf andere, vor allem China und ignoriert dabei die Tatsache, dass die chinesischen Kohlekraftwerke Fabriken mit Strom versorgen die Güter für deutsche Verbraucher*innen herstellen. Und dass es deutsche Unternehmen sind, die Kohlekraftwerke auf der ganzen Welt mit errichten. Und dass der deutsche Autoexport zusammenhängt mit dem Anstieg des Autoverkehrs in China. Die Liste von Beispielen geht weiter. Die deutsche Wirtschaft und Politik ist am Anstieg des weltweiten Ressourcenabbaus sehr aktiv mit beteiligt.)
Heute sind wir in einer fast ähnlichen Situation wie vor 30 Jahren, nur dass die Dringlichkeit um ein Vielfaches höher liegt. So wie damals fordern Neoliberale ein besonnenes Abwarten „bis die Technologien bereit sind.“ Das klingt sehr klug, auch ich will den technischen Fortschritt und die Forschung nicht madig reden.
Aber der technische Fortschritt ist im Kapitalismus immer schon ein Paradoxon gewesen. Schon Karl Marx ist aufgefallen, dass eine neue effizientere Technologie, so gut wie nie zu einer Einsparung von Ressourcen und Arbeitszeit führt. Bei Arbeitszeiten heißt das: eine neue Maschine, an der ein einziger Arbeiter so viel Kleidung produzieren kann wie früher hundert Arbeiter*innen, führt nicht dazu dass alle weniger arbeiten, sondern dazu, dass einer Vollzeit arbeitet und die anderen ihre Arbeitskraft anderswo verkaufen müssen und dabei meist Lohneinbußen hinnehmen.
Bei Rohstoffen heißt das: Anstatt eines verbrauchsarmen Autos werden zwei besorgt oder ein größeres oder es wird einfach mehr gefahren.
[Zugegeben, der obige Absatz ist ein bisschen sehr vereinfacht. Tatsächlich führt der technische Fortschritt schon oft zur Schonung einer Ressource, aber zur Verschiebung auf eine andere besser ausbeutbare Ressource. Ein Beispiel dafür ist der Umstieg von Holzkohle auf Steinkohle als Brennstoff. Der Steinkohle Bergbau hat viele europäische Wälder gerettet und die Neubeforstung ermöglicht. Aber schon sehr kurz danach war der Steinkohleverbrauch sehr viel höher als der Holzkohleverbrauch je hätte sein können und schon im 19. Jahrhundert gab es Indizien, dass der exponentiell wachsende Kohleverbrauch zu einem verstärkten Treibhauseffekt führen könnte. Ein ähnliches Beispiel ist der Umstieg von Walöl auf Erdöl.]
Wie gesagt, ich will den technischen Fortschritt hier nicht schlecht und madig reden, aber es kann in diesem bestehenden Wirtschaftssystem keine Technologie geben, die unsere ökonomischen und ökologischen Probleme wegzaubert. Es stimmt zwar, dass die erneuerbare Energietechnologien seit den 1980er sehr viel besser geworden sind; das Klimaproblem ist aber in der gleichen Zeit sehr, sehr viel dringlicher geworden. Es gibt keine Lösung des Problems in diesem System.
Wenn wir wirklich Auswegen aus der sozial-ökologischen Krise suchen, dann wird es Zeit endlich mit den Dogmatiken des Systems zu brechen.
Ein wohl drastischstes Beispiel dafür ist das kapitalistische Arbeitsethos, das den Menschen dieser Welt anerzogen wird. Es gilt wie eine unumstößliche Notwendigkeit, dass das Existenzrecht eines Menschen abhängig davon ist, dass dieser Mensch 40 bis 60 Stunden in der Woche arbeitet. Klar, wir lassen Menschen (offiziell) nicht verhungern, wenn Menschen sich um Kinder kümmern ist sogar Teilzeitbeschäftigung geduldet. Aber es gibt ein vielschichtiges System von gesellschaftlichen Ächtungen, behördlichen Drangsalierungen und bürokratischer Diskriminierung, die Menschen dazu zwingen soll gefälligst ihre 40 bis 60 Stunden Arbeitszeit in der Woche zu erledigen und damit zum Wirtschaftswachstum beizutragen.
Würden aber wirklich alle Menschen der Welt brav ihre 40 bis 60 Stunden in der Woche abarbeiten, dann produzieren die auch enorm viele Waren, und zwar sehr viel mehr als je konsumiert werden könnten. Schon allein deswegen, weil neben der Arbeitszeit zu wenig Zeit zum Konsumieren da ist. Unser Arbeitsethos ist das Arbeitsethos der exzessiven Überproduktion.
Weil dieses Arbeitsethos aber so tief in unserem Kopf verankert ist, dass wir uns gar nicht vorstellen könnten, dass Menschen weniger arbeiten könnten als jetzt, halten wir es für die wichtigste Form der Sozialpolitik allen Menschen zu ermöglichen ihre 40 bis 60 Stunden pro Woche abzuarbeiten. (#sozialIstWasArbeitSchafft) Dafür muss dann eben auch die Natur entsprechend drauf gehen. So entsteht ein künstlicher Widerspruch zwischen ökologischer und sozialer Politik, der nicht bestehen würde, wenn wir einfach weniger arbeiten würden.
Verteidiger*innen der 40 bis 60 Stunden Woche werden jetzt natürlich sagen, dass es bei dieser Arbeitszeitverringerung zu Engpässen in der Produktion kommen würde. Das stimmt auch, eine Reduktion der weltweiten Arbeitszeit würde uns zwingen darüber nachzudenken welche Produkte benötigt werden, und welche nicht. Dann müssten wir global steuernd eingreifen in Produktionsketten, um Stabilität und Effizienz zu gewährleisten, anstatt darauf zu vertrauen, dass die allgemeine Überproduktion schon genug Zeug auf den Markt wirft.
Jusos und Gewerkschaften fordern schon lange die Arbeitszeitverkürzung, aber wir wissen auch, dass das nicht passieren wird. Das kapitalistische Arbeitsethos ist so tief in der Kultur des 21. Jahrhunderts verankert, dass es näher liegt Menschen für billige Urlaubsreisen zu geißeln, als zu fragen, welche fürchterlichen Arbeitsbedingungen diese Urlaubsreisen überhaupt erst möglich machen.
Diese Unfähigkeit jenseits der Dogmatik des Kapitalismus zu denken macht sich auch in den Diskussionen rund um die CO2-Steuer und den Emissionshandel bemerkbar. Anstatt sich anzuschauen in welchen Abschnitten der Produktion die großen Emissionen entstehen und bestimmte Praktiken zu verbieten (so wie es bei FCKW und Schwefeloxiden erfolgreich getan wurde), sollen am Ende des ganzen Produktionsprozesses, wenn der Schaden längst passiert ist, Anreize geschaffen werden, die dazu führen, dass die unsichtbare Hand des Marktes alles regelt. Aber das tut sie nicht. Die angebliche unsichtbare Hand des Marktes ist nachweislich unfähig Probleme zu lösen. Das wir noch immer auf sie vertrauen, anstatt endlich regulierend in die einzelnen Wirtschaftsabläufe einzugreifen, ist einer der Gründe warum sich die Gesellschaft als unfähig erwiesen hat, die ökologische Krise zu lösen.
Aber was heißt das jetzt? Ist alles für die Katz? Haben wir keine Chance? Tritt die Welt in immer schlimmere wirtschaftliche und ökologische Krisen ein? Sehen wir dem Ende entgegen?
Nein, ich glaube nicht. Ich will hier tatsächlich auf einer optimistischen Note enden. Dieser ganze Artikel dreht sich ja darum, dass die soziale und ökologische Frage ein und dieselbe sind. Nicht nur weil die Ursachen der Krisen zusammenhängen, sondern auch weil deren Lösungen zusammengehören.
Oben haben wir schon das mit der globalen Arbeitszeitverkürzung diskutiert. Aber das ist schwierig umzusetzen und wird wohl nicht so bald passieren, weil irgendein Land seine Bevölkerung immer ganz besonders schlimm ausbeuten will, aber wir können tatsächlich vor Ort auch im Kleinen einiges tun, um uns für die kommenden Katastrophen zu wappnen.
Dazu müssen wir lernen Wirtschaft wieder als ein Netz von Bedürfnissen, Arbeitsabläufen und Produktionsketten zu sehen und nicht nur als ein Gemenge von magischen Zahlen wie: BIP, Arbeitslosigkeit, Inflation und Wachstum.
Dann können wir sehen welche Bedürfnisse vorliegen und wie sie effizient zu befriedigen sind. Häufig ist eine gemeinschaftliche Lösung sowohl die günstigste als auch die ökologischste. Das ist das alte sozialdemokratische Prinzip der öffentlichen Daseinsvorsorge, das im Zeitalter der neoliberalen Wirtschaftsverblödung ziemlich aus der Mode gekommen ist, aber in den kommenden Jahrzehnten wieder enorm wichtig werden könnte. Gerade wenn es darum geht das Leben einer verarmenden Menschheit in der kollabierenden Biosphäre zu bewahren.
Auf der anderen Seite wird es notwendig die schwindende Natur wieder als mehr zu sehen als nur ein Produkt des Weltklimas. Die durch teure Einfamilienhäuser betriebene Zersiedelung der europäischen Landschaften und die Versiegelung von Flächen, ist für die Hitzeentwicklung im Sommer genauso ausschlaggebend wie das CO2. Außerdem wird dadurch der Boden weniger wasseraufnahmefähig, was paradoxerweise sowohl Überschwemmungen und Dürren begünstigt. Die lokale Vegetation dient eben nicht nur als Kohlenstoffsenke, sondern auch zur Temperierung der Umgebung. Bäume sind billiger und nachhaltiger als Klimaanlagen. Wiesen sind in fast jeder Kategorie besser als Parkplätze.
Hier gibt es sehr viele Handlungsmöglichkeiten für eine Politik, die endlich mehr tun will als an mystischen Zahlen wie der „Geldmenge“ herumzudrehen und darauf hofft, dass der Markt nach den richtigen Anreizen plötzlich das CO2 wegzaubert.
Sicherlich wird das nicht sofort den Klimawandel stoppen, aber es hilft uns die Biosphäre und die Zivilisation widerstandsfähiger zu machen gegen die Auswirkungen der Katastrophen von morgen. Dadurch verschaffen wir uns Zeit und Handlungsspielräume. Sicherlich werden dabei Fehler passieren, das ist nicht vermeidbar. Aber wir müssen endlich anfangen aus den Fehlern zu lernen und die Erfahrungen, die wir dabei machen, weltweit austauschen.
Vielleicht kann sich dann aus diesem Kleinteiligen wirklich eine neue Logik entwickeln, die uns hilft, globale Warenketten jenseits des Kapitalismus und des Wachstumszwangs zu entwickeln.
Es ist gut möglich, dass wir dann nicht mehr so viel kapitalistisches „Wachstum“ generieren wie wir es heute tun, aber vielleicht sind wir dann umso besser darin menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.
Lass es uns so sehen: Die Stärke der Menschheit als Spezies war es immer Probleme zu erkennen, sich darüber auszutauschen, Pläne zu entwickeln und diese gemeinsam umzusetzen. Das war es was es der Menschheit ermöglicht hat das beste aus den schlimmsten Umständen zu machen.
Wenn wir aufhören uns auf magische Zahlen und unsichtbare Hände zu verlassen, sondern dass tun was Menschen am besten können, dann könnte diese große Katastrophe zum triumphalsten Moment unserer Geschichte werden.