Hier möchte ich mich dem Thema „Rechter Gewalt“ in unserer schönen Stadt etwas grundlegender widmen. Zuletzt war im Zuge des Lübke Mordes in den Medien wieder verstärkt von „geistigen Brandstiftern“ die Rede, dabei sind auch einige bekannte Namen gefallen (Erika Steinbach, hust, hust) Ein verharmlosendes Wort für viele dieser geistigen Brandstifter ist Rechtspopulist. Verharmlosend ist er, weil er vage und unscharf ist. Was soll das sein, ein*e Rechtspopulist*in? Und was unterscheidet den*die Rechtspopulist*innen vom “Rechtsextremen”? Die Glatze bzw. Haarpracht? Nähern wir uns diesen Worten also mal langsam an.
Laut Wikipedia ist der Rechtspopulismus eine politische Ideologie, mit Überschneidungen zum Rechtsextremismus und Nationalkonservativismus. Aha. Klingt, als sei der*die Rechtspopulist*in der „Missing Link“ zwischen Neonazi mit Springerstiefel und bürgerlichem Janckerträger (Klingt ein bisschen nach CSU-Wähler, höhö). Ferner findet man bei Wikipedia, grob zusammengefasst, eine Auflistung der wichtigsten Merkmale des Rechtspopulismus. Diese bestehen aus der Zuspitzung rechter Positionen, dem Bekenntnis zur europäischen Kultur in christlich-abendländischer Tradition, der verbalen Mobilisierung gegen Minderheiten durch einen kulturellen Rassismus bzw. Ethnopluralismus, ein Selbstverständnis als Sprachrohr einer „schweigenden Mehrheit“ bzw. die Annahme eines genuin existierenden Volkswillens und zu guter Letzt die Selbstdarstellung als Underdog gegen den Mainstream der herrschenden politischen Klasse.
Das alles beschreibt den Rechtspopulismus und seine Mechanismen ganz gut, stellt aber immer noch keine klare Definition dar. Allerdings tun sich mit einer scharfen Definition auch die Fachleute schwer, das Thema ist in den Politikwissenschaften heiß umstritten. (Hier mal auf Paper verweisen, Zitate etc.). Im Folgenden sollen hier aber drei der Mechanismen bzw. Denkweisen etwas näher angeschaut werden, nämlich der Volkswille, die Behauptung einer christlich-abendländischen Kultur und der Kampf gegen den Mainstream.
Sehr interessant ist die Sache mit dem Volkswillen. Das ist alles andere als eine neue Idee. Der prominenteste Vertreter dieser Theorie dürfte Rousseau gewesen sein. Der Vertragstheoretiker hat gerade auch wegen dieser Idee eine große Rezeption auch bei den Konservativen erfahren. Sein „volonté générale“ funktioniert nun mal in alle Richtungen. Auch bei Marx finden sich Bezüge auf Rousseaus Ansätze, gemeinhin bekannt ist das ganze als Identitätstheorie. Diese Theorie sagt aus, das in einer idealen Gesellschaft der Gemeinwille (besagter „volonté générale“) die Richtung vorgibt. Dieser Gemeinwille bildet sich aus der Summe der Einzelwillen minus die darin enthaltenen egoistischen Interessen eines jeden einzelnen (das ist stark vereinfacht, darüber könnte man ein eigenes Traktat schreiben). Dieser Gemeinwille war im 18. Jahrhundert derart revolutionär, dass er Rousseau nicht nur mit einem Schlag zu einem Popstar der Philosophie seiner Zeit machte, sondern wurde auch wie wild in den darauffolgenden Jahrhunderten sowohl von linker als auch rechter Seite rezipiert. Auch Marx und Engels postulieren einen Volkswillen. In der sozialistischen Ordnung sind alle Menschen gleich, da bleibt kein Raum mehr für Differenzen (auch hier wieder, stark vereinfacht). Die Sozialisierung der Produktionsmittel war für die beiden Vordenker der Linken eine ausreichende Voraussetzung für eine sozialistische Gesellschaftsordnung. Differenzen, die andere Ursprünge haben als die Ökonomie (zum Beispiel Moral, Kultur, etc.) verlieren an Belang. Mehr noch, abweichende Meinungen können gem. dem radikalen Verständnis von Marx als Verrat am sozialistischen Volkswillen gesehen werden.
Prinzipiell ähnlich ist die Sache mit dem Volkswillen auf der rechten Seite. Als Denker*in kann man hier den bekannten Denker Carl (Nazi-) Schmitt erwähnen. Er bezieht sich ebenso auf die Theorien Rousseaus und argumentiert, dass die Annahme von Einzelwille gleich Volkswille zwangsläufig zum Schluss Regierter gleich Regierender führen muss. Wenn der Regierende gleich der Regierte ist, haben Sie den gleichen Willen. Regierungswille und Volkswille sind also eins. Gemäß dieser Logik kann sich der Volkswille auch in einer Person konzentrieren, schon sind wir beim Führer-Staat. Schmitt kritisiert Demokratie und Parlamentarismus schonungslos, indem er behauptet, ein Parlament sei auch nur die Annahme eines Volkswillens, der durch eine Minderheit (den Abgeordneten) repräsentiert wird. Wenn Regierung und Bevölkerung aber ohnehin eins sind, braucht es kein Parlament mehr. Für Schmitt war das Parlament nicht mehr als eine nichtige Formalität. Seine Überlegungen ebneten den Weg für eine Legitimierung der Diktatur, er selbst betrachtete Diktaturen zwar als antiliberal, aber nicht als antidemokratisch. Eine Auffassung, die heute wohl von niemandem mehr geteilt wird.
Nach der Betrachtung des Volkswillens werfen wir nun einen Blick auf den christlich-abendländischen Kulturraum, dessen fortlaufendes Abfeiern ja auch ein Merkmal moderner Rechtspopulisten ist. Dabei ist die Bezeichnung „Christliches Abendland“ – Überraschung! – alles andere als ein klar definierter Begriff. Im Prinzip ist er nichts weiter als eine Worthülse, ein Marketing Gag, um Teile Europas von „den Anderen“ abzugrenzen. „Der Andere“ ist da in erster Linie der angeblich islamisch geprägte Orient, um an Schmitt anzuknüpfen haben wir hier also nichts weiter als eine Freund-Feind-Dynamik, eine These und Antithese. Jetzt muss das christliche Abendland natürlich dem islamischen Anderland überlegen sein, deshalb wird der Begriff gefühlsduselig mit Werten überfrachtet und historische Fakten werden geflissentlich ignoriert.
Zu diesen historischen Fakten zählen unter anderem der Einfluss des Orients und Nahen Ostens auf Europa sowie die simple Tatsache, dass Europa nie so geeint war wie der Begriff impliziert. Das Christentum in Europa durchlebte zwei Schismen (Orthodoxie, Katholizismus, Protestantismus), und die Uneinigkeit des Christentums führte zu zahllosen Kriegen im Christlich-abendländischen Kulturraum. Zwischen den Königen und Kaisern Europas spielte mondäne Machtpolitik eine größere Rolle als die Einheit des Glaubens. In England spaltete man sich mit einer eigenen Variante des Protestantismus ab, damit der König seine Mätresse ehelichen konnte. Das von den Populist*innen gewünsche Narrativ eines „wir gegen die“ im Sinne von „geeinte christliche Europäer“ gegen „vereinte islamische Araber“ ist also falsch und überzogen.
Marx selber hatte bekanntermaßen starke Meinungen zur Religion allgemein und bezeichnete sie als „Opium des Volkes“. Im Kern wollte er damit sagen, Religion sei nichts weiter als ein von den Menschen selbst gemachtes falsches Versprechen, welches aber das faktische Leid auf der Erde zementiere. Seine Religionskritik (ohne tiefer eintauchen zu wollen) ist fundamental und auch radikal sowie generell, richtet sich also gegen alle Religionen. Wo die Rechtspopulist*innen die Religion als Werkzeug für Ihre Zwecke nutzen wollen, sagte Marx den falschen Verheißungen der Pfarrer den Kampf an.
Kommen wir nun zum letzten Punkt: Der Kampf der Rechtspopulist*innen gegen den ach so konspirativen Mainstream. Direkt damit einher geht die Selbstorientierung als Opfer der Mainstream-Mächte, also etablierter Parteien, der Medien und so weiter. Auch hier bedienen sich unsere Vertreter*innen des rechten Spektrums vertrauter Narrative. Die Behauptung, der Underdog zu sein, der gegen „die da oben“ antrete ist so alt wie der politische Kampf selbst. So gut wie alle politischen Bewegungen haben sich dieses sympathische Narrativ zu eigen gemacht, natürlich auch linke und grüne Bewegungen, insbesondere in der Anfangszeit. Neu ist höchstens das Ausmaß der Verschwörungen, mit denen man die da oben in Verbindung bringt. Von ganz rechts ist da zum Beispiel von „Umvolkung“ die Rede. Diese aus Frankreich (im Dunstkreis von Jean-Marie Le Pen) stammende Verschwörungstheorie besagt zum Beispiel, dass die „Eliten“ planen, das europäische weiße Urvolk gegen Araber*innen und Afrikaner*innen auszutauschen, da diese einen geringeren IQ hätten und somit leichter zu kontrollieren seien. Der Kampf gegen „die da oben“ ist also überlebenswichtig. Auch wenn die Rechtspopulist*innen solche absurden Thesen (noch?) nicht offen verbreiten, in ihrem Umfeld tummeln sich auch solche, die das tun. An der Basis der AfD befinden sich viele Menschen die sich als die „aufgeklärten“ sehen, wohingegen alle anderen, die die bestehende Ordnung unterstützen, nur „Lämmer“ seien, die den „Weckruf“ noch nicht gehört hätten (an dieser Stelle ist auch mal ein Querverweis an „Prepper“, „Doomer“ und „Reichsbürger“ angebracht). Der Glaube, einer aufgeklärten Gruppe anzugehören, die gegen eine besser ausgestattete Elite ankämpfen muss, verbindet auf der rechten Seite also Populist*innen mit übelsten Gegnern unserer Verfassung und Demokratie. Das Narrativ des Underdogs macht den Rechtspopulismus zu einem Sammelbecken für alle radikalen und auch durchgeknallten Kräfte am rechten Rand. „Wir gegen die“ eint.
Zudem ist dieses Narrativ auch ein Verteidigungsmechanismus. Damit delegitimiert man nämlich sämtliche Kritik durch die etablierten Kräfte an einem selber. Denn diese kritisieren ja nur, weil man selbst als „unangenehm“ empfunden wird und somit ist die Kritik in gewisser Hinsicht auch Bestätigung. Dieser Zyklus der defensiven Selbstbestätigung ignoriert natürlich, dass es meistens die Rechtspopulist*innen sind, die durch Ihre Rhetorik und/oder ihre Forderungen scharfe Attacken auf die Mehrheitsgesellschaft fahren. Intern stärkt es aber den Zusammenhalt und den Korpsgeist.
Um wieder kurz zu Marx zu kommen: Seine Kritik an den ökonomischen Verhältnissen war seinerzeit natürlich auch eine Kritik am Mainstream und Establishment. Während er jedoch reale Ausbeutungsstrukturen und Machtasymmetrien anprangerte, bekämpfen die Rechtspopulist*innen nur einen vermeintlichen „linksgrünen Mainstream“, und das, obwohl die Konservativen* seit 14 Jahren die Kanzlerin stellen.
Alles in allem sind die Mechanismen und Methoden der Schreihälse vom rechten Spektrum nicht neu. In dieser Kombination sind sie aber bislang erschreckend erfolgreich. Zusammen mit dem bürgerlichen Anstrich (der aber mehr und mehr bröckelt) nisten sie sich dauerhaft in unserem System ein. Damit drohen sie unser politisches System langfristig zu verändern. Um dies zu verhindern, gilt es, den Scharfmacher*innen von rechts Einhalt zu gebieten und wieder mit eigenen Inhalten zu überzeugen.