Die theorethische Aufarbeitung des Kolonialismus

Die Kolonisierung der Welt, vor allem durch europäische Mächte, war kein einzelnes Ereignis. Beginnend von den Kreuzzügen bis zur Gegenwart, haben sich unterschiedliche Strategien und Vorgehensweisen entwickelt mit denen europäische Mächte große Teile der Erde erobert, unterworfen und zerstört haben. Bei weitem nicht alle kolonialen Eroberungszüge waren erfolgreich und es gab unterschiedliche Auswirkung auf unterschiedliche Gesellschaften. In seiner Gesamtheit ist der Kolonialismus aber wohl der tiefste kulturelle Einschnitt der Menschheitsgeschichte. Durch Seuchen, Vertreibung, Verschleppung und Massaker wurden ganze Kontinente entvölkert, um Platz zu machen für weiße Siedler*innen. Andere Menschen wurden um die halbe Welt verschleppt um als Sklaven Güter für den Weltmarkt zu erzeugen.

Dieser Weltmarkt, der durch den Kolonialismus entstanden ist, ar wiederum eine notwendige Grundlage für die Industrielle Revolution, die einen weiteren Epochalen Umbruch von ziviliationsgeschichtlichem Ausmaß bedeutete. Nie wieder kann die Menschliche Gesellschaft zurückkehren zu dem Stand von vor 500 Jahren. Was zerstört wurde, kann nie wiederaufgebaut werden, denn die alten Ruinen von einst sind längst überbaut mit den Monumenten des Industrie-Imperialismus.

Trotzdem gibt es einiges aufzuarbeiten und wieder zu entdecken über die vielfältigen Kulturen der Menschheit und es gilt viele der Lügen, mit denen sich den Kolonialismus legitimiert hat, endlich aufzudecken.

Die Europäischen Seefahrer haben vielleicht Seerouten entdeckt, sicher aber nicht die Länder, zu denen diese Seerouten führen. Die Menschen in den vermeintlich „entdeckten“ Ländern wurde zu halbmenschlichen Wilden degradiert und damit Vertreibung, Mord und Versklavung legitimiert. Die Mythen über diese „Wilden“ finden sich bis heute in den Geschichtsbüchern. Zum Beispiel der Mythos, die weißen Europäer*innen seien wegen ihrer scheinbaren „Überlegenheit“ bei ihrer Ankunft für Götter gehalten worden. Das ist sicherlich ein Bild das Weißen schmeichelhaft ist, ist aber weitestgehend historische Fiktion. Wahr ist, dass diplomatische Begegnungen damals wie heute (auch in Europa) von religiösen Riten begleitet wurden. Viele der Staaten waren sich durchaus bewusst darüber was die Ankunft dieser Fremden für sie bedeutete. Nicht wenige haben die Chance auf einen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch sehr geschätzt und waren proaktiv beim Zusammenkommen.

Diese Gutmütigkeit wurde von Europäischen Kolonialkompagnien, Konquistadoren und Armeen ausgenutzt. Der europäische Überlegenheitswahn und der aus dem Christentum hergeleitete Auftrag zur Eroberung und Bekehrung der „Ungläubigen“, bedeutete dass jeder Handels- und Friedensvertrag nur so lange gültig war, bis es eine günstige Möglichkeit zur Eroberung gab. Und während der Geschichte des Afrikanischen Kontinents, der Amerikas, Indiens, Chinas und Australiens, völlig andere sind, so sind die Erlebnisse doch oft ähnlich: eine zynische Diplomatie und eine aufoktroyierte Europäisierung der Kultur. Oft bis hin zur systematischen Ermordung der Bevölkerung und Ersetzung durch andere gefälligere Personen (Entweder aus der Region selbst, oder aus Europa).

Häufig wird gelehrt, dass der Kolonialismus in der Zeit rund um die Weltkriege langsam vorüber ging. Immer mehr Kolonien erlangten die Unabhängigkeit. Das einst mächtige British Empire war rasch nur noch ein Rumpf. Dennoch ist nach dem Ende der Kolonialen Unterdrückung nicht sofort das weltweite Glück ausgebrochen. Oft im Gegenteil, denn die massiven Einschnitte und Zerstörungen der Kolonialverbrechen können nicht einfach revidiert werden. Aus den ehemaligen Kolonien wurde die sogenannte „dritte Welt“, und die wirtschaftliche Ausbeutung der „dritten Welt“ war oft sogar günstiger und opportuner für die Europäischen Mächte als der klassische Kolonialismus. Lokale Diktator*innen und Potentat*innen füllten nahtlos die Lücke, die die ehemaligen Kolonialherren hinterlassen hatten. Die von den europäischen Mächten aufoktroyierte Kultur ist immer noch da und eine Kultur der Unterdrückung.

Umso mehr beginnt die Suche nach einer Kultur jenseits des europäischen Kolonialismus und damit beginnt, dass unheimlich weite Feld der „Postkolonialen Theorie“.

UND: Ich sage es an dieser Stelle ganz deutlich. Ich bin nicht belesen genug, um darüber weiter etwas zu sagen. Die Debatten drum herum sind heftig. Und das ist verständlich, denn es ist ein heftiges Thema das Milliarden Menschen betrifft. Kurz gefasst, die Bevölkerung dieser Welt sucht nach einer Kultur und einer wirtschaftlichen Theorie jenseits der europäischen Dominanz. Gesucht wird in der Vergangenheit vor den Eroberungen und in der Gegenwart danach. Dies ist in vielen Teilen sehr gut und wichtig, kann aber auch problematisch sein.

Vieles was an neuen Perspektiven kommt, widerspricht den Annahmen dessen, was der europäische Humanismus über die letzten Jahrhunderte erarbeitet hat. Dies kann sehr gut sein, weil es die Doppelmoral der sogenannten „westlichen Kultur“ aufdeckt. Es besteht aber auch die sehr reale Gefahr, dass gegenwärtige Diktaturen sich einen Nationalmythos jenseits des Menschenrechts bauen. Insbesondere in der chinesischen Propaganda wird das europäische Beharren auf Menschenrechten als imperialistisch verstanden und dementsprechend abgelehnt. Zusätzlich wird der Staat Israel, in der Kritik am Kolonialismus oft einfach einbezogen, so kann Antisemitismus im Deckmantel der Kolonialismuskritik gedeihen.

Umgekehrt jedoch passieren viele schreckliche Verbrechen rund um die Welt immer noch im Modus des alten Kolonialismus, nur dass lokal Eliten die Rolle der Kolonialherrscher*innen übernommen haben. (Ein Beispiel dafür ist Brasilien.) Die alten von Kolonialist*innen gezogenen Grenzen sind immer noch die Grenzen vieler Länder und ein Herd ständiger Konflikte. Rassismus, als eines der wichtigsten kulturellen Erbstücke des Kolonialismus, ist weiterhin eine Triebfeder für Landnahme und Ausbeutung. Nicht zuletzt in Europa machen sich die alten kolonialistischen Stereotype sichtbar, immer dann, wenn über Afrika geredet wird.

Der Kolonialismus hat die Welt in Trümmern hinterlassen und auch nach der Unabhängigkeit vieler Kolonien ist es nicht gelungen eine Weltgemeinschaft mit Gleichheit und Augenhöhe aufzubauen. Im Gegenteil, im Deckmantel der Entwicklungshilfe hat sich allzu oft der postkoloniale Imperialismus versteckt.

Auf dieser Welt werden immer mehr Stimmen laut, die völlig berechtigter Weise beginnen wollen, ihre eigenen Geschichten erzählen. Es ist wichtig sich kritisch damit zu beschäftigen. Die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte wird es sein, aus der vergangen Weltgemeinschaft unter Europäisch/Amerikanischer Dominanz, eine Weltgemeinschaft aller Menschen zu erschaffen.

Ein Beitrag von Tim