In München findet jedes Jahr das größte Volksfest der Welt statt, das von einigen als eine jährliche humanitäre Katastrophe bezeichnet wird. Man kann viel streiten über den Sinn des Massenbesäufnisses, man kann über Sexismus und Gewalt reden. Über die vielen Notarzteinsätze wegen Alkoholvergiftungen und Schlägereien, über Spießertum, Bussibussigesellschaft, alte und neue Nazis und der Verfall der Tradition. Aber um all das soll es hier nur höchstens am Rande gehen. Vielmehr soll es darum gehen wie aus dem großen öffentlichen Volksfest ganz langsam eine exklusive Veranstaltung wird und wie die „Sicherheit“ dabei ein durchschaubarer Vorwand ist für eine weitere Kommerzialisierung.
Vorweg: Natürlich ist die Wiesn kommerzialisiert. Das Oktoberfest war immer schon ein kommerzialisiertes Bavaria-Disneyland, für das viele längst ausgestorbene Traditionen ausgegraben oder neu erfunden wurden, um dem großen Münchner Fest den Anstrich einer Ursprünglichkeit zu geben, die weder die Stadt noch das Fest haben.
So wie allgemein im Deutschland der 1800er Jahre von Künstler*innen und Autor*innen retroaktiv eine gemeinsame Deutsche Kultur kanonisiert wurde, so eben auch in Bayernspezifische. Das Ergebnis dieser retroaktiven Kanonisierung von Kultur sind dann eben die Volksfeste, die einer Jahrhunderte alten Tradition entsprechen sollen, was sie aber nicht tun. Die Wiesn ist nicht Ausdruck der Jahrhunderte alten Kultur dieser Region, sondern von deren Kommerzialisierung im 18. Jahrhundert. Die Behauptung die Wiesn sei das „größte Volksfest“ der Welt stimmt nur deswegen, weil das Wort „Volksfest“ ein Deutsches ist und andere Feste und Feierlichkeiten im Rest der Welt damit aktiv ausgeklammert werden. Das einzige was definitiv stimmt ist, dass die Wiesn das größte Oktoberfest der Welt ist. Alles andere ist Fake.
Das mag für die Bayerischen Wiesn Enthusiast*innen wie eine Blasphemie wirken, weil das Oktoberfest sich so tief in das kulturelle Verständnis von Bayern eingeprägt hat, das reale Prä-Wiesnkultur der Region völlig vergessen ist, aber es muss nun einmal gesagt werden: Disneyland ist nicht echt. Es macht Spaß für die denen es Spaß macht, aber es ist und war immer schon Fake und Kommerz.
Trotzdem gibt es einen wichtigen Unterschied anzuerkennen zwischen unserem Bavaria-Disneyland hier in München in den Resorts in Amerika:
Die amerikanischen Disneylands stehen außerhalb der Stadt auf irgendeiner ehemaligen Wiese, sind mit Zäunen umspannt und können nur mit Eintrittskarte betreten werden. Die Münchner Wiesn hingegen steht mitten in der Stadt auf einer schlecht begrünten Schotterfläche und kann jederzeit ohne Eintrittskarte betreten werden.
Diese öffentliche Zugänglichkeit der Wiesn ist es die das Volksfest vom Themepark unterscheidet. Die Leute können unkontrolliert kommen und gehen, sie können vorglühen, ihre eigenen Getränke und Speisen mitnehmen. Es gibt keinen Konsumzwang. Zwar können die Festzelte wegen Überfüllung geschlossen werden, aber wer reinkommt kommt rein.
Zumindest war das mal so. Bis der Zaun kam. Der Zaun wurde 2016 aus Sicherheitsgründen eingeführt. Genauso wie das Verbot Taschen mitzunehmen und und und…
Damals ging es um die Sorge das Leute Schusswaffen oder Granaten mit aufs Gelände nehmen könnten und dann um sich schießen. Schon damals war fraglich ob die Zäune im Fall eine Massenpanik nicht mehr gefährlich als hilfreich waren.
Doch wozu die Zäune wirklich da sind, sollte mittlerweile klar sein, denn die Sicherheitszone wurden durch billigere einfache Bauzäune ersetzt, doch die Zäune bleiben. Kontrolliert wird am Eingang nur noch beiläufig auf Waffen, sondern vorwiegend auf Flaschen.
Das Verbot Flaschen aufs Gelände mitzunehmen ist zwar bei vielen Festivals tatsächlich sicherheitstechnisch begründet, schließlich hinterlassen Flaschen Scherben und können als Waffen verwendet werden. Aber es macht keinen Sinn auf einem Fest Flaschen zu verbieten, wenn gleichzeitig Maßkrüge ausgeschenkt werden.
Tatsächlich ist das Flaschenverbot auch gar nicht mehr mit Sicherheit begründet, sondern mit der Vermeidung von Alkoholabstürzen (auf den Wiesen). Durch das Flaschenverbot soll das Vorglühen verhindert werden, so dass Leute nicht schon betrunken auf die Wiesn kommen und dort abstürzen.
Was sich erst mal wie eine nette Argumentation für den Sicheren Alkoholkonsum (auf der Wiesn) anhört, ignoriert eine offensichtliche Tatsache: Vorglühen und Getränke mitnehmen sind zwei völlig unterschiedliche Angelegenheiten, das einzige was sie gemeinsam haben, ist das Leute es tun weil sie sich vor Ort die Getränke nicht leisten können.
Was als ein Zaun gegen Terrorist*innen begonnen hat ist nun zu einem Zaun gegen Leute geworden die sich die Sache nicht leisten können. Das Bavaria-Disneyland ist einen Schritt näher an seinen amerikanischen Cousin herangerückt. Das winzig etwas noch fehlt ist jemand der bei den Eingängen Tickets kontrolliert.
Ein Teil Areal des Oktoberfestes, die sogenannte „Oide Wiesn“ verlangt bereits Eintritt.