Bilder wilder Partys auf Mallorca und steigende Infektionszahlen haben in den letzten Wochen die Diskussion über den Sinn und Unsinn von Auslandsreisen in Zeiten einer globalen Pandemie befeuert. Doch schon vor Corona haben soziale Bewegungen wie Fridays for Future unser derzeitiges Urlaubsverhalten in Frage gestellt. Natürlich würden viele von uns in ihren Ferien gerne mit einem Cappuccino in einem Straßencafé in Rom entspannen, Kängurus in Australien zählen oder sich an einem Strand in Costa Rica die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Doch sind Auslandsreisen in der aktuellen Zeit sinnvoll und überhaupt moralisch vertretbar?
Viele von uns zieht es im Urlaub gerne in die Ferne und so manche beginnen bereits am ersten Arbeitstag des Jahres die Wochen bis zum geplanten Sommerurlaub zu zählen. Doch was reizt uns an Reisen in andere Länder so sehr? Klar, häufig besseres Wetter, kulinarische Genüsse, Kultur, Sprachkenntnisse aufbessern, Abenteuer … die Liste könnte man ewig fortsetzen, aber kurzum könnte man auch einfach sagen: Tapetenwechsel – abschalten und alle Sorgen hinter sich lassen. Ist der Wunsch dem Alltag zu entfliehen so verwerflich nach wochenlangem daheimbleiben, social distancing und Sorgen darüber wie ein Leben nach Corona aussehen könnte? Eigentlich doch nicht, denn die Corona-Maßnahmen treffen schon die ganze Zeit bestimmt Gruppen besonders hart. Viele haben jetzt endlich wieder die Chance nach Monaten der Isolation ihre Verwandten, Freund*innen und Partner*innen in anderen Ländern zu besuchen. Andere sparen seit Jahren auf diesen einen, lang ersehnten Urlaub hin. Wieder andere haben den Wunsch noch einmal in ihrem Leben das Meer zu sehen. Wir wissen nicht was in den Köpfen und Leben der anderen vorgeht und sollten sie daher nicht dafür verurteilen, wenn sie auch trotz der Pandemie die Reise ins Urlaubsziel ihrer Wahl antreten. Und ironischerweise laden leere Gassen in Venedig oder einsame Strände in Griechenland einen doch jetzt erst recht auf einen Urlaub ein.
Für Regionen, die stark durch Tourismus geprägt sind, ist das Ausbleiben von Urlaubsgästen ein Fiasko. Die wirtschaftlichen Folgen für die dortige Gastronomie und Hotellerie, Reiseveranstalter und viele andere Unternehmen werden dramatisch sein. Die langfristigen Konsequenzen für die dort arbeitenden Menschen sind dabei wohl noch kaum einschätzbar. Deutlich wird dies am Beispiel von Mallorca, einer Insel die vom Tourismus abhängig ist. Die Zahl der Arbeitslosen ist mittlerweile doppelt so hoch wie im Sommer 2019 und viele Angestellte befinden sich in Kurzarbeit. Hilfsorganisationen verzeichnen seit Beginn der Pandemie steigende Zahlen der NutzerInnen ihrer Angebote. Politiker*innen und Gewerkschaften setzen sich nun für eine finanzielle Unterstützung der zahlreichen Saisonkräfte ein. Reisen ins Ausland komplett zu verbieten würde viele Länder und die dortige Bevölkerung derzeit stark treffen.
Natürlich sollte uns allen mittlerweile bewusst sein, dass der gewohnte Party-Urlaub auf Mallorca in diesem Sommer einfach nicht drin ist. Aber sollten wir gleich alle Auslandsreisen verteufeln? Nein, denn man kann auch verantwortungs- und rücksichtsvoll reisen bzw. sich verantwortungslos und unsolidarisch daheim verhalten. Ein Zelturlaub auf Griechenlands Inseln unter Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen oder eine Fahrrad Tour nach Spanien sind womöglich sinnvoller und solidarischer als Hochzeitsfeiern mit 100en Gästen im Vereinsheim um die Ecke. Und wenn auch aktuell einige so wirken als würden sie am liebsten wieder alle Flughäfen dicht machen, müssen wir uns auch dessen bewusst sein, dass die Pandemie uns noch länger begleiten könnte oder in einigen Jahren der nächste Virus entdeckt wird. Anstatt auf nicht absehbare Zeit alles lahm zu legen, gilt es sich Strategien zu überlegen, wie wir alle gemeinsam diese Krise überstehen und lernen können, unter diesen Bedingungen zu leben.
Vielleicht sollten wir daher nicht gleich allen Rückkehrer*innen ein schlechtes Gewissen einreden und ihnen Egoismus vorwerfen, sondern die Möglichkeit nutzen, um endlich mal unser eigenes Reiseverhalten hinsichtlich seiner sozialen und ökologischen Verträglichkeit zu reflektieren. Denn die Sinnfrage muss sich wohl jeder Mensch selbst beantworten.
Mit solidarischen Grüßen, euer sozialistischer Engel
Letztens lautete die Schlagzeile eines Interviews in einem großen deutschen Onlinemedium:”Zum Kurzurlaub nach Mallorca zu reisen ist kein Menschenrecht”, eine treffende Feststellung. Absonderlich, dass man diese Aussage einmal treffen muss. Das bedeutet jedoch, dass für viele Bürger*innen in diesem Lande der jährliche Auslandsurlaub zu den Grundfreiheiten gehört wie Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und ähnliche hart erkämpfte Grundrechte. Nichts könnte falscher sein.
Auslandsreisen sind ein Privileg, weiter nichts. Ein tolles Privileg, zugegeben, dass auf nichts anderem als Wohlstand basiert. Uns allen ist das auch klar. Wir wissen, dass in anderen Teilen der Welt für große Teile der Bevölkerung Reisen in andere Länder ein Ding der Unmöglichkeit sind. Dennoch wird es hierzulande als Selbstverständlichkeit wahrgenommen und auch so gelebt. Die Schäden davon sind dabei nicht zu ignorieren. Dass Auslandsreisen mittlerweile eine globale Gesundheitsgefährung darstellen weil dadurch Viren transportiert werden ist nur die aktuellste und im Moment sichtbarste davon. Dass solche Reisen mit hohen ökologischen Kosten in Form von CO2-Ausstoss zu Buche schlagen ist mittlerweile auch den Meisten klar. Doch das ist bei weitem nicht alles.
In Touristen Hot-Spot-Städten wie Paris und Barcelona zerstören Anbieter wie rBnB seit Jahren die dortigen Mietpreise, zum Leidwesen der Anwohner*innen. Die Tourist*innen bringen neben Geld auch Müll und Überfüllung in die Städte. In Venedig konnten aufgrund des ausbleibenden Tourismus zum ersten Mal wieder Tiere in die Kanäle hinein – viele Venezianer*innen beobachteten dies zum ersten Mal. Die Natur kommt zurück, wenn der Mensch ihr eine Pause gönnt.
Der moderne Massentourismus ist für alle diese Phänomene (mit-)verantwortlich. Aber die Wohlstandsbürger*innen sind in Ihrem Rausch nach Abwechslung und Abenteuer blind dafür. Die Coronakrise legte den Finger in viele Wunden und offenbarte die Dinge, von denen wir alle den Blick abwendeten. Daher sollten die Menschen sich klar werden: “Auslandsreisen sind kein Menschenrecht!”. Genügsamkeit in dieser Hinsicht wird ein neuer Bestandteil des Solidaritätskonzepts werden müssen – solidarisch für die Gesundheit, für stressgeplagte Anwohner*innen in Großstädten, für die Natur und schlussendlich für die Erde. Und damit auch für alle Menschen.
Mit diabolischen Grüßen, der Anwalt des Teufels