Zu den Ereignissen um den G20-Gipfel in Hamburg und ihren Folgen – Gegen die Extremismustheorie

Resolution der Jusos München – eingebracht durch den Vorstand der Jusos München, beschlossen auf der Unterbezirkskonferenz der Jusos München am 20. Juli 2017

Die Ereignisse des Wochenendes 07. bis 09.07.2017 haben die politische Debatte in der ganzen Bundesrepublik und auch in der SPD verschoben. Leider nicht in die richtige Richtung. Analysen von Zeitgeschehen wie daraus resultierende politische Forderungen sollten versuchen nicht kurzfristig auf Einzelereignisse einzugehen, sondern immer darüber hinaus. Die erschreckende Gewalt, ausgeübt von vermeintlichen Linken, primär gerichtet gegen Gegenstände aber auch gegen PolizistInnen, lehnen wir entschieden ab. Sie überdeckt nun in der politischen Debatte den richtigen Protest gegen den praktisch politisch folgenlosen und vor allem undemokratischen G20-Gipfel. Zudem führt sie zu in der Sache völlig überdrehten Diskussionen über linke Gewalt, bis hin zur absurden Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus, leider auch durch führende PolitikerInnen der SPD.

Die erschreckende Gewalt der Menschen, die gerade als LinksextremistInnen bezeichnet werden, steht nicht im luftleeren Raum. Vergleiche mit Terrorismus, wie vom Kanzleramtsminister vorgebracht, sind dumpfes Wahlkampfgetöse und entbehren jeder Grundlage. Die Gewalt wurde von einer sehr heterogenen Gruppe ausgeübt. Diese Gewalt ist – bei aller notwendigen Kritik, die wir an dieser haben – ohne das Agieren der Polizeiführung nicht denkbar. Der Polizeiführung wurde von Seiten der politisch Verantwortlichen eine Art Freibrief erteilt. Es wurden bewusst politische Fragen zuerst zu juristischen Fragen und dann zu polizeilichen Fragen umetikettiert. Dies gilt beispielhaft beim demokratischen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Die Aufgabe, die den Sicherheitsbehörden gestellt wurde, nämlich den Schutz von Regierungschefs und des Gipfels (An- und Abfahrt, Ablauf, Absicherung nicht nur des Gipfelortes, sondern eines breiten und unübersichtlichen Geländes in einer Großstadt) war für die Polizei offenkundig nicht zu vereinbaren mit der Ermöglichung von demokratisch legitimem und rechtlich abgesichertem friedlichen Protest. Die Polizeiführung hatte bewusst von Beginn an entschieden, diese nicht erfüllbare Aufgabe zu Lasten der Grundrechte von Protestierenden zu klären – dies rechtfertigt keine Gewalt gegen PolizistInnen, aber ist genauso wenig akzeptabel. Viele PolizistInnen mussten bis an der Rande der Erschöpfung oder darüber hinaus Überstunden machen und standen unter enormen Druck. Dies ist genauso eine Folge der verfehlten politischen Strategie. Die Proteste um den G20-Gipfel waren ein sozialer Konflikt, auf den von Seiten der politischen Verantwortlichen mit dem Vorschieben der Polizei reagiert wurde und die sich damit der Bearbeitung des Themas entzogen hat. Der Konflikt wurde zu einem Konflikt zwischen Polizei und Protestierenden. Dass nun von PolitikerInnen pauschale Dankes- und Solidaritätsbekundungen mit PolizistInnen, deren Überstundenkonto seit Jahren in wohl allen Polizeibehörden genauso anwächst wie ihre Ausrüstung schlechter wird, hilft an dieser Stelle niemandem. Auch von Seiten der Polizei kam es zu strafrechtlich relevanten Übergriffen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wäre eine geeignete Maßnahme um den G20-Gipfel in Hamburg auszuarbeiten.

Wir Jusos München kritisieren die inhaltliche Verschiebung in unserer Partei bezüglich der Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus. Nach jahrelangen Debatten innerhalb der SPD feierten wir es zu Recht auch als unseren Erfolg, dass die ehemalige Bundesministerin Manuela Schwesig die unsägliche Extremismus-Klausel, eingeführt von ihrer Vorgängerin Kristina Schröder abgeschafft hat. In Bayern kritisieren wir seit Jahren die Anwendung der Extremismustheorie durch die Staatsregierung und die Landesbehörden, die wir entschieden ablehnen. Die Extremismustheorie geht von der Annahme aus, es würde eine breite, gute, demokratische und unbescholtene Mitte in unserer Gesellschaft geben, der „schweigenden Mehrheit“, der gegenüber an den beiden “extremistischen” Rändern FeindInnen der Demokratie stehen. Diese Annahme ist so naiv wie falsch: Weder Gesellschaft noch Staat funktionieren über eine große brave Mitte, die mitspielt und kleine böse Ränder, die die Demokratie ablehnen. Vielmehr musste Demokratie teilweise auch gewaltsam erkämpft werden und ist nach wie vor leider nicht in allen Lebensbereichen (beispielhaft genannt sei nur die Arbeitswelt) vollständig umgesetzt. Die Konsequenzen sind allerdings fatal: Mit der Extremismustheorie werden in der Praxis ungleiche Phänomene gleichgesetzt und rechte Gewalt, die sich vor allem gegen vermeintliche AusländerInnen und sozial Schwache richtet und allein zwischen 1990 und 2015 mindestens 169 Menschen in Deutschland ermordete, verharmlost. Während AntifaschistInnen kriminalisiert werden, werden die Taten von FaschistInnen relativiert.

Die öffentliche Finanzierung von Projekten zur Stärkung der Demokratie, zu Jugendbildung, zur Förderung von Jugendkultur und auch die Finanzierung von kommerzfreien Räumen sollte ein wichtiges Anliegen einer Stadtgesellschaft sein, wie auch ein wichtiges staatliches Anliegen generell. Dabei wissen wir, dass Gewaltlosigkeit ein Kriterium für die Finanzierung von solchen Projekten ist. Dabei hinterfragen wir jedoch immer auch, was Gewalt eigentlich bedeutet. Uns ist, im Gegensatz so scheint es, zu den beim G20-Gipfel tagenden PolitikerInnen und vielen Kommentaren sehr wohl bewusst, dass beispielsweise unser Staat und die EU massiv Gewalt gegen Geflüchtete zur Absicherung der EU-Außengrenzen einsetzen, genauso wie auch Kürzungen von Grundsicherungsleitungen in gewisser Weise gewaltvolle Eingriffe in das sozio-kulturelle Existenzminimum darstellen.

Wir warnen vor vorschnellen Beurteilungen und Kollektivhaftung, wie diese jetzt von konservativer Seite gefordert wird, etwa bezüglich der Räumung der Roten Flora in Hamburg oder des Verhaltens des Staates gegenüber der Rigaer Straße in Berlin. Die rhetorische Überhöhung der Bedeutung von “Linksextremismus” in unserer Gesellschaft ist ein Wahlkampfmittel der Konservativen, deren Strategie es seit Adenauers Zeiten ist, eine Rote-Socken-Kampagne zu fahren. Zur Lösung der wahren Probleme wie Kriege, Hunger, Umweltzerstörung und der ungerechten Verteilung von Armut und Reichtum haben die Beschlüsse des G20 Gipfel kein Stück beigetragen. Vielmehr werden diese Probleme jetzt im Hinblick auf die Bundestagswahlen vor dem Gespenst eines künstlich aufgebauschten Linksextremismus damit de-thematisiert.

 

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