Wenn der Brexit in deiner Familie wohnt


Mit Wurzeln in Deutschland, Großbritannien, Österreich, den Niederlanden und Slowenien ist unsere Familie ein schönes Beispiel dafür, wie Europa sein kann, wenn es sich von seiner besten Seite zeigt. Wir haben beide einige Semester im EU-Ausland studiert, haben unsere Hochzeit mit Freund*innen aus unterschiedlichsten (EU)-Ländern gefeiert und waren alle angemessen gerührt, als Lenas Vater (im Krieg geboren) nicht ohne Zittern in der Stimme sein Glück zum Ausdruck brachte, dass eine Ehe zwischen einer Deutschen und einem Engländer heute so eine Selbstverständlichkeit ist. Unsere Kinder haben beide die doppelte Staatsbürgerschaft. Wir sind also as European as it gets und dachten, dass es immer so weiter gehen würde.


Tja, und jetzt braucht eine Weihnachtskarte aus dem Vereinigten Königreich mal eben drei Wochen, bis sie zu uns gelangt, bei der nächsten Einreise nach England wird Lena womöglich in einer anderen Schlange stehen als der Rest der Familie und erst kürzlich haben wir gelesen: Großbritannien bietet allen EU-Bürger*innen einen finanziellen Bonus von 2.000 Pfund plus Flugtickets für ein freiwilliges „Resettlement“. Wären wir damals auf der Insel geblieben statt nach Deutschland zu kommen, würde man uns also jetzt quasi den Umzugscontainer finanzieren, um Lena loszuwerden. Oder zumindest fühlt es sich so an.


Es ist schwer, das alles nicht persönlich zu nehmen. Auch unter unseren britischen Freund*innen, ja sogarin der entfernteren Verwandtschaft, gibt es Menschen, die für den Brexit gestimmt haben. Wie geht man damit um? Unschöne politische Diskussionen sind das eine, aber wie schafft man es, nicht an sich heranzulassen, dass eigene Freund*innen gegen etwas sind, das für einen selbst ein so integraler Bestandteil des eigenen Lebens, der eigenen Identität ist? Noch haben wir keine Antwort auf diese Fragen gefunden. Gerade für Craig als britischen Europäer – europäischen Briten – ist der Brexit mehr als nur ein politisches Geschehen. Er ist höchstpersönlich und allumfassend.


Von allen persönlichen Verletzungen und Emotionen einmal abgesehen, viel schlimmer ist natürlich die reale Sorge darum, wie das Leben der vielen uns lieben Menschen auf der Insel weitergehen wird, gleich ob sie Leaver oder Remainer sind. Was wird der Brexit finanziell, gesellschaftlich, politisch noch an Folgen für sie haben? Craig ist einer der vielen seit dem Referendum im Eiltempo in Deutschland eingebürgerten Briten, für uns persönlich sind die Auswirkungen also wenig spürbar. Aber es ist schon ein sehr komisches Gefühl, die eigenen (Schwieger-) Eltern plötzlich im Nicht-EU-Ausland zu wissen. Auf einmal fühlt sich Großbritannien so viel weiter weg an.


Auch wir wissen natürlich, dass nicht jeder Stern Gold ist, der auf den blauen EU-Fahnen glänzt. Wir haben mit unserem Freund Manos bei einem Raki nach dem anderen über die Austeritätspolitik geschimpft, haben wieder und wieder gesehen, wie die europäische Asylpolitik Menschenrechte mit Füßen tritt. Und dennoch sind wir überzeugt, dass das gemeinsame europäische Projekt die richtige Antwort ist auf Jahrhunderte des Gegeneinanders in Europa. Ein Projekt, das noch viel Arbeit machen wird, aber eins, um das es sich zu kämpfen lohnt. Lieber ändern wir die Dinge von innen, als von außen hilflos zuzuschauen. Hoch die internationale Solidarität!

Ein Beitrag von Lena und Craig Odell