Von Milos Vujovic
Seit genau 100 Tagen gilt in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn. Das von der Wirtschaft prophezeite Chaos, Massenarbeitslosigkeit und der volkswirtschaftliche Niedergang der Bundesrepublik ist ausgeblieben. Erwartungsgemäß. Mit dem Mindestlohn hat sich allerdings doch noch mehr geändert als 8,50€ Minimum die Stunde. Mit diesem einher ist auch eine deutlich striktere Auffassung bei der Erfassung der Arbeitsstunden gekommen. Wirtschaft und Wirtschaftsverbände geißeln dieses als Bürokratiemonster. Werden sie doch nur dazu angehalten schon länger existierendes Recht wie das Arbeitszeitgesetz genau einzuhalten. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich diese überbordende Bürokratie zu allermeist als Eintragung des Arbeitsbeginns und Arbeitsendes in eine simple Liste. Bürokratischer Aufwand sieht anders aus.
Dieses soll ermöglichen, dass, unter anderem, der gesetzliche Mindestlohn pro Stunde zum Beispiel durch unbezahlte Überstunden nicht unterschritten wird. Das Ideal scheitert im Moment jedoch an zwei Faktoren.
Zum einen existieren noch immer Ausnahmen, die den sozialen, wirtschaftlichen und logischen Gedanken des Mindestlohns konterkarieren. Weder ist nachzuvollziehen, warum sich junge Menschen, unterhalb der Volljährigkeitsgrenze gegen eine Ausbildung entscheiden sollten, wenn 8,50€ die Alternative sind. Die Perspektive nach der Ausbildung ist fraglos eine bessere. So liegt zum Beispiel das Einstiegsentgelt je Stunde in der Eisen- und Stahlindustrie tariflich am Beispiel Saarland bei 11,58€ die Stunde. Allein dieses mag schon als Grund genug gelten, sich gegen einen Job zu Mindestlohnbedingungen ohne Ausbildung zu entscheiden. Die Reintagration von Langzeitarbeitslosen durch die Nichtanwendung des Mindestlohns erscheint ebenso fragwürdig. Wenn der Mindestlohn in seinem vollen Umfang wirken soll, dann muss er auch ohne Ausnahmen gelten.
Doch auch ein zweiter Aspekt muss uns am heutigen Tage Sorgen machen. Nämlich das ökonomisierte Verständnis der Stunde. Sicherlich haben wir eine Grenze gesetzt, was eine Stunde Arbeit mindestens wert ist. Die Frage, welche Dimension die Arbeit innerhalb dieser Stunde annimmt, muss noch deutlicher geklärt werden. Das Arbeitspensum steigt aufgrund der Logik der Wirtschaft kontinuierlich an. Es muss immer mehr in immer weniger Zeit geschafft werden. Als selbstverständlich verstanden wird, gerade junge ArbeitnehmerInnen lassen sich aus Angst vor Arbeitsplatzverlust dazu einspannen, nicht erledigte Arbeit in unzähligen Überstunden zu erledigen. Gesetzliche oder tarifliche Überstundenregelungen werden dabei durch vertragliche Handkniffe nur zu gerne unterlaufen. Sich Arbeit mit nach Hause zu nehmen und immer erreichbar zu sein, gehört mittlerweile zum guten Ton. Das Ergebnis sind lohabhängig Beschäftigte, die entweder unter der Überlastung zusammenbrechen oder schlicht die Reißleine ziehen müssen und kündigen.
Wir stehen gerade erst am Anfang eines langen Kampfes. Zum einen um den gerechten Lohn. Der Mindestlohn ist dafür ein guter Anfang. Seine Ausnahmen, gilt es zu beseitigen. Einkommen oberhalb dieses Minimums müssen zukünftig auch wieder stärker den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen entsprechen. Nicht denen der Wirtschaft. Zum anderen werden wir stärker für gute Arbeit und Arbeitsbedingungen eintreten müssen. Das Verhältnis zwischen Arbeit und Lebensqualität muss wieder in ein Gleichgewicht geraten. Der rücksichtslosen Ausbeutung des Menschen nach seiner ökonomischen Verwertbarkeit muss Einhalt geboten werden.
Es bleibt viel zu tun. Der Mindestlohn ist ein erster Schritt.