„Sozialismus in Afrika? Das sind schon Spezialthemen, die ihr euch da aussucht, oder?“

Von Milos Vujovic

Was ist Kolonialismus? Welche Klischees zu Afrika stecken in den Köpfen? Was hat es mit Panafrikanismus, Ujama-Sozialismus auf sich? Wie entwickelten sich Afrikas Staaten und Gesellschaften nach der Entlassung aus dem Kolonialverhältnis? Was ist heute davon noch übrig? Viele Fragen. Besonders für einen Abend. Mit dem stellvertretenden Landesvorsitzenden der Jusos Bayern Daniel Mann diskutierte unser AK Internationales politische Theorie und Praxis der letzten 60 Jahre in Afrika. Ein besonderes Augenmerk wurde bei diesem Kurzseminar auf die Entwicklung in Ghana, Tansania und Kenia gelegt.

Aber noch einmal langsam zum mit schreiben. Was? Wie? Wer? Und überhaupt? Afrika? Ist ja nicht unbedingt ein Katzensprung dahin. Vor allem. Afrika kennen wir doch eh aus den Nachrichten. Da wird doch eh nur der Müll der europäischen Konsumgesellschaften abgelagert. Außer viel Krieg und Krisen ist doch eh nicht viel. Obwohl doch: ab und an hört man etwas von Krankheitsepidemien und bei so manchem öffentlich-rechtlichen oder Privatsender gibt es doch so manches Mal diese Charity-Sendungen, bei denen man spenden kann, damit in einem Dorf ein Wasserhahn gebaut werden kann. Und dann selbstverständlich noch das Thema Flüchtlinge und ihre Reise nach Europa.

Nehmen wir einmal ganz kurz die Krisen weltweit, wie sie über die Nachrichten verbreitet werden kurz zur Seite. Die oben angeführten Klischees auch. Was genau wissen wir eigentlich über Afrika und die politisch-gesellschaftliche Entwicklung, wenn es sich nicht gerade um den eigenen Themenschwerpunkt handelt oder man gerade eine Doktorarbeit darüber schreibt? Weit weniger, als man sich selbst im ersten Moment zugestehen würde. Oder wie manche auch scherzhaft fragten, sobald sie das Thema des Kurzseminars hörten: „Sozialismus in Afrika? Das sind schon Spezialthemen, die ihr euch da aussucht, oder?“

Wem sagt den heute der Name Kwame Nkrumah etwas? Aus einer europazentristischen Warte betrachtet wohl auch nicht so wichtig, oder? Nun, wenn wir aber versuchen diese Scheuklappen abzunehmen und unser Selbstverständnis als SozialistInnen und als internationalistischer Verband zu Rate ziehen, haben wir durchaus auf vielen Feldern etwas zu entdecken. Es war nämlich dieser uns EuropäerInnen heute weniger bekannte Kwame Nkrumah, der mit der Forderung „Independence now!“ die britische Kronkolonie 1957 als Ghana in die Unabhängigkeit führte. Und er tat noch mehr als das. Er war einer der Väter der Idee des Panafrikanismus. Die Idee Afrikas, als ein einziger zusammenhängender Staatsverband. Damit gilt dieser Gedanke als Vorläufer der Afrikanischen Union.

Wie viele wissen was Ujamaa-Sozialismus ist? Oder Julius Nyerere? Dass ersteres eine ganz eigene, in Tansania entwickelte und auf die lokalen Gegebenheiten angepasste Variation des Sozialismus ist? Und das Julius Nyerere der Vordenker desselben, langjähriger Präsident Tansanias war und einer der wenigen postkolonialen Staatsoberhäupter, die freiwillig zurückgetreten sind. Weder durch Putsch, noch durch Bürgerkrieg dazu gezwungen. So zeichnete er in der Arusha-Deklaration von 1967 die Grundzüge des Ujamaa. Dieser bedeutete für Nyerere, Dorfgemeinschaften entstehen zu lassen. Menschen, Großfamilien oder kleine Dörfer, die voneinander entfernt waren, wurden zu größeren selbstverwalteten Dorfgemeinschaften zusammengetan. Für die Dorfverbände brachte dies Vorteile wie den Ausbau der Technologie in der Landwirtschaft, Arbeitsteilung und die Planung der Produktion. Außerdem wurde das Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem ausgebaut. Die soziale Schere wurde fast vollständig geschlossen und ein Modell sozial gerechten Zusammenlebens aufgebaut, unabhängig von den Machtblöcken in West und Ost. Man kann es als einen eigenen, blockfreien dritten Weg bezeichnen. Daressalam und seine Universität wurden zum Zentrum der Forschung für WissenschaftlerInnen aus aller Welt, aus beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Der Meinungsaustausch beider Blöcke war in Tansania möglich. Mit dem Eintropfen äußeren Einflusses, des neoliberalen Zeitgeistes und wirtschaftlicher Stagnation kam allerdings auch dieses Projekt in den 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zum Erliegen. Nyerere trat 1985 ab und es begann die Transformation in eine Marktwirtschaft. Es bleibt festzuhalten, dass das soziale Netz dünner wurde. Staatlicher Einfluss zurückgedrängt wurde. Sich der Lebensstandard abgesenkt hat, nachdem der Sozialismus abgewickelt wurde.

Und dieses sind nur zwei Beispiele der politischen Entwicklung in Afrika. Also ein Randthema? Bei weitem nicht. Es sind solche Themen, die den Horizont erweitern und internationale Politik greifbarer und verständlicher machen. Uns auch zeigen, dass wir aus der Nische Europa und transatlantische Staatenpartnerschaft herauskommen müssen. Dann kann man sich auch an die Fragen machen „was nun?“ und „was tun?“.

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