Pro und Contra eines frühzeitigen Kohleausstiegs in München.

Das Bündnis „Raus aus Steinkohle“ hat mit dem gleichnamigen Bürgerbegehren erreicht, dass die Münchner Bürgerinnen und Bürger am 5. November im Rahmen eines Bürgerentscheids über die frühzeitige Stilllegung des Steinkohleblocks 2 im Heizkraftwerk Nord („Nord 2“) bis Ende 2022 abstimmen können. Die Initiatoren haben bereits jetzt erreicht, dass sich eine breite Öffentlichkeit in München mit dem Thema Klimaschutz und Kohleausstieg beschäftigt. Vor dem Hintergrund, dass einen Tag nach dem Bürgerentscheid die Weltklimakonferenz in Bonn tagt, ein guter Auftakt. Schließlich sieht derzeit alles danach aus, dass die Bundesrepublik ihr nationales Klimaschutzziel für 2020 krachend verfehlt.

Aber wie kann es sein, dass die Forderung des Bündnisses „Raus aus der Steinkohle“ zu derart heftigen Diskussionen führt – wo doch nahezu alle Parteien und Umweltverbände hinter den Klimaschutzzielen stehen? Und warum unterstützen selbst aus dem Lager der Umweltverbände längst nicht alle die Forderung des Bündnisses und werben für ein „Ja“? Der Grund liegt auf der Hand. Man kann sich beim Ziel einig sein und trotzdem über die richtigen Maßnahmen heftig streiten. Und das ist der entscheidende Punkt. Diejenigen, die für ein „Nein“ werben – etwa die Stadtratsmehrheit oder die SWM – sind nicht gegen Klimaschutz an sich. Aber sie haben große Zweifel an der Sinnhaftigkeit der geforderten Maßnahme. Im Folgenden sollen die wichtigsten Argumente der Befürworter wie auch der Gegner vorgestellt werden mit dem Ziel, dass jede*r sich eine Meinung bilden kann, um am 5. November so informiert wie möglich von seinem/ihren Wahlrecht Gebrauch zu machen.

  1. Der Klimaschutzeffekt einer frühzeitigen Stilllegung von Nord 2

Die Befürworter bezeichnen das Steinkohlekraftwerk Nord 2 als Klimakiller Nr. 1 in München und verweisen darauf, dass die jährlichen CO2-Emissionen von rund 2 Mio. t CO2 höher seien, als die CO2-Emissionen aller PKW und LKW in München. Zugleich räumt das Bündnis aber auch ein, dass durch eine Stilllegung von Nord 2 nicht die Gesamtmenge von 2 Mio. t CO2 eingespart werden kann, sondern jährlich nur etwa 0,7 Mio. t CO2. Das liegt daran, dass im Falle einer Stilllegung von Nord 2 die benötigte Wärme und Strom in anderen Kraftwerken vorrangig in München, aber auch im Rest Deutschlands erzeugt werden muss und die Emissionen dieser Kraftwerke entsprechend steigen.

Die Gegner betonen, dass die lokalen Emissionen (die tatsächlich größer sind als die der PKW und LKW) keine aussagekräftige Bewertungsgröße darstellen. Der Grund ist, dass es unter Klimaschutzaspekten egal ist, wo die Emissionen entstehen. Der Großteil der Emissionen von Nord 2 würde durch eine Abschaltung lediglich in andere Kraftwerke verlagert. Übrig bleibt nach dem Gutachten des Öko-Instituts, auf das sich beide Seiten beziehen, eine CO2-Einsparung von 0,59 – 0,86 Mio. t CO2 jährlich. Zum Vergleich: Das nationale Klimaschutzziel verlangt, dass die jährlichen CO2-Emissionen 2020 etwa 150 Mio. t. unter dem heutigen Wert liegen. Sämtliche wissenschaftliche Gutachten, die einen für die Erreichung des Klimaschutzziels geeigneten Kohleausstiegspfad beschreiben, sehen vorrangig die Abschaltung der ältesten Braunkohlekraftwerke vor. Eine Stilllegung von Nord 2 wird in absehbarer Zukunft nicht vorgeschlagen, insbesondere weil in Nord 2 relativ effizient sowohl Strom, als auch Fernwärme erzeugt werden.

  1. Wäre eine Stilllegung von Nord 2 eine günstige Klimaschutzmaßnahme?

Die Befürworter bezeichnen eine Stilllegung von Nord 2 als die die kostengünstigste Klimaschutzmaßnahme für München. Sie begründen das damit, dass das Kraftwerk sich längst amortisiert hat und lediglich zukünftige Gewinne entfallen, sofern es stillgelegt wird.

Die Gegner berufen sich in diesem Punkt auf eine frühere Studie des Ökoinstituts, in dem etwa der Ausbau erneuerbarer Energien als kostengünstigere Klimaschutzmaßnahme empfohlen wird. Bei einer frühzeitigen Stilllegung von Nord 2 entgehen den SWM und damit indirekt auch der Stadt nach Berechnung des Ökoinstituts 158 -314 Mio. €. Anders als bei Investitionen in erneuerbare Energien, die sich langfristig auch ökonomisch auszahlen, entstehen durch ein Abschalten von Nord 2 keine neuen umweltfreundlichen Erzeugungskapazitäten für Strom und Wärme. Und die kostengünstigste Klimaschutzmaßnahme ist in jedem Fall das Einsparen von Energie.

  1. Ist eine Stilllegung von Nord 2 bis 2022 überhaupt umsetzbar?

Die Befürworter berufen sich auf das Gutachten des Ökoinstituts, nach dem eine Stilllegung sogar schon im Jahr 2020 umsetzbar wäre. Außerdem beteuern sie, dass die Versorgungssicherheit Münchens mit Strom und Wärme nicht gefährdet sei. Die Befürworter argumentieren stets, dass für den Klimaschutz das möglichste schnellstmöglich getan werden müsse. Dass sie trotz der Aussage des Gutachtens nicht 2020, sondern 2022 fordern, lässt darauf schließen, dass sie sich bei der Umsetzbarkeit nicht so sicher sind, wie behauptet.

Die Gegner bestreiten das Ergebnis aus dem Gutachten des Ökoinstituts nicht, wonach die Strom und Wärmeerzeugung aus Nord 2 durch andere bestehende Kraft- und Heizwerke ersetzt werden kann. Um jedoch die Versorgungssicherheit der Fernwärme sicherzustellen, müssen die Reservekapazitäten ausreichen, um einen Ausfall der größten Erzeugungsanlage zu kompensieren. Derzeit sichert das HKW im Süden das HKW Nord ab. Sollte Nord 2 jedoch bis Ende 2022 stillgelegt werden, müssten neue gasbetriebene Heizwerke in der Größenordnung von 300 MW (über die Hälfte der Kapazität von Nord 2) neu gebaut werden. Diese würden bis zur Fertigstellung der Geothermieversorgung im Ernstfall einen Ausfall des HKW Süd ersetzen. Der Bau neuer fossiler Kapazitäten, die vielleicht nur 5 Jahre gebraucht werden, wäre unsinnig und kontraproduktiv. Stattdessen muss der weitere Ausbau der Geothermie unabhängig von der Betriebszeit von Nord 2 schnell vorangetrieben werden. Hier lässt sich nicht ausschließen, dass es Fehlbohrungen oder andere Rückschläge gibt, die jetzt noch nicht absehbar sind.

Zu dem Thema der Fernwärmeversorgungssicherheit kommt noch die Frage, ob das HKW Nord 2 für die Stromversorgung im süddeutschen Raum systemrelevant ist. Diese Entscheidung wird von der Bundesnetzagentur etwa ein Jahr im Voraus einer Stilllegungsanzeige getroffen. Derzeit gehen die SWM davon aus, dass insbesondere vor dem Hintergrund der Stilllegung der letzten AKW bis Ende 2022, Nord 2 höchstwahrscheinlich als systemrelevant eingestuft wird. Damit wäre die Forderung des Bürgerentscheids rechtlich nicht umsetzbar und Nord 2 müsste in betriebsbereitem Zustand weiterhin verfügbar sein. Das Vorliegen dieser Unsicherheit spricht zwar nicht gegen den Bürgerentscheid, veranschaulicht jedoch die Komplexität des Themas und dass es nicht losgelöst von der nationalen Energielandschaft betrachtet werden kann.

  1. Welche Signalwirkung hätte ein „Ja“ für den bundesweiten Kohleausstieg?

Die Befürworter argumentieren, dass ein „Ja“ für den Kohleausstieg in München eine dringend nötige Signalwirkung entfalten könnte, um zur Weltklimakonferenz in Bonn entsprechenden Druck auf die Bundespolitik auszuüben, auch den nationalen Kohleausstieg einzuleiten. Außerdem hat der Bürgerentscheid in ihren Augen eine Signalwirkung auf andere Kommunen mit eigenen Stadtwerken, auch aus den fossilen Energien auszusteigen.

Die Gegner verweisen darauf, dass beim Bürgerentscheid ja nicht für oder gegen den Klimaschutz abgestimmt wird, sondern für oder gegen eine konkrete Maßnahme. Vor dem Hintergrund, dass Deutschland seine Klimaschutzziele ohnehin nur durch einen nationalen Kohleausstieg erreichen wird, relativiert sich die Signalwirkung, die von München ausgeht. Der Effekt ist sicher positiv, aber umgekehrt sollte ein „Nein“ den nationalen Klimaschutzbemühungen auch nicht schaden, sofern differenziert berichtet wird. Schließlich lässt sich zahlreichen Studien zum bundesweiten Kohleausstieg entnehmen, dass eine Stilllegung von Nord 2 keine Priorität hat vor dem Abschalten zahlreicher Braun- und anderer Steinkohlekraftwerke. Der mit Abstand größte Teil der deutschen Kohlekraftwerke gehört privaten Firmen. Damit lässt sich das Modell eines Bürgerentscheids wie hier in München, bei dem die Bürgerinnen und Bürger über die Stilllegung eines Kraftwerks entscheiden, in dieser Form nicht auf viele andere Kommunen übertragen. Es lässt sich nicht sagen, ob ein Stilllegen von Nord 2 in anderen Städten als Vorbild wahrgenommen wird, weil München als wohlhabende Stadt einen zusätzlichen Klimaschutzbeitrag trotz eigener wirtschaftlicher Nachteile leistet. Oder ob es als Alleingang empfunden wird, dass Kapazitäten frühzeitig abgeschaltet werden, welche die Stadt noch nicht vollständig selbst ersetzen kann. Ein Teil der Umweltschäden, die unser Stromverbrauch verursacht, wird damit erstmal in andere Regionen verlagert.

Fazit:

Jede*r muss für sich entscheiden, welche Aussagen sie/ihn überzeugen. In jedem Fall ist das Ergebnis des Bürgerentscheids nur gültig, wenn die Mehrheit der abgegebenen Voten mindestens 10 % der Münchner Wahlberechtigen beträgt. Für ein klares Zeichen, dass die Münchner sich für Klimaschutzthemen interessieren, sollten möglichst viele Bürgerinnen und Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Unabhängig davon, wie der Bürgerentscheid ausgeht: Die größte klimapolitische Herausforderung der kommenden Legislatur, der nationale Kohleausstieg, steht erst noch bevor.

Ein Beitrag von Caspar Bayer

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