Nach einer Videokonferenz von Bundeskanzlerin und den Ministerpräsident*innen der Länder gelten ab dem 2.11.2020 neue Maßnahmen im Umgang mit der “Zweiten Welle” der Corona-Pandemie.
Dabei wird das öffentliche Leben erneut massiv eingeschränkt, um mit einem “Wellenbrecher” die Infektionsketten zu brechen und weitere Ansteckungen zu verhindern.
Der beschlossene “Wellenbrecher” stellt einen massiven Grundrechtseingriff insbesondere in die Berufsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit, aber auch in die Religionsfreiheit, den Schutz der Familie und möglicherweise auch gegen den Gleichheitsgrundsatz dar. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Menschen, die nun geschlossene Betriebe und Einrichtungen betreiben, als auch der Menschen, die sie nutzen. Natürlich ist es wichtig für den Schutz der Gesundheit und sogar des Lebens der Menschen, dass die steigende Infektionsdynamik gebrochen wird. Auch Eingriffe und die oben genannten Einschränkungen sind daher grundsätzlich verständlich, solange sie notwendig sind um Gesundheit und Leben zu schützen.
Gleichzeitig muss aber in Bezug auf jede Einschränkung sorgfältig abgewogen werden, ob sie auch wirklich geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, um die Pandemie wirksam einzudämmen.
Nur wenn die Maßnahmen nachvollziehbar, in sich stimmig und damit fair sind, bekommen sie auch die erforderliche Akzeptanz der Menschen.
Alexej Preissler: “Ich für meinen Teil habe auch nicht verstanden, dass als wir den Sommer und den Spätherbst über versucht haben die „neue Normalität“ zu leben, man mit Sperrstunden etc. die Leute nach Hause getrieben hat.
Aber jetzt ist die Situation eine andere, wir sind jetzt in einem exponentiellen Wachstum, nur Hygienekonzepte reichen nicht mehr aus.
Cool ist das ganze nicht, aber was ist die Alternative?”
Schließung von “Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind”
Im Gegensatz zum ersten Lockdown im März 2020, bei dem das öffentliche Leben nahezu vollständig zum erliegen kam, soll es nun ab dem 2. November einen “Lockdown-Light” geben. Politischer Grundgedanke der neuen Maßnahmen ist dass Wirtschaft und notwendige Einrichtungen wie die Schulen weiterlaufen und diesmal nur Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind, geschlossen werden sollen.
Im Vergleich zum Frühjahr ist es nun eine immense Verbesserung, dass Schulen und Kindergärten offen bleiben sollen. Auch ist der Grundgedanke durchaus nachvollziehbar, alles, was der “Freizeit” dient jetzt einzuschränken und somit Begegnungen von Menschen, die nicht zwingend erforderlich sind, zu vermeiden.
Trotzdem ist es hier begrüßenswert, dass bei den aktuellen Einschränkungen die Möglichkeit besteht, sich mit mindestens einem Haushalt zu treffen. Bereits im März haben wir angemahnt, dass zu einem gesunden Leben auch der Kontakt zu anderen Menschen notwendig ist. Was damals keine große Rolle zu spielen schien, ist jetzt zumindest hierdurch Rechnung getragen worden.
Aktuell gibt es keine Annahmen dazu, wie lange diese Pandemiesituation noch dauern wird und wie viele “Wellen” noch bevorstehen. Wir wissen aber, dass die Schließungen von Sportstätten, Kulturellen Einrichtungen und im Gastrogewerbe die Existenz der Menschen bedroht, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Wir wissen auch, dass Leben nicht nur Arbeiten sein kann und dass zu einer vielfältigen und funktionierenden Gesellschaft nicht nur ihre “nicht dem Freizeitbereich zuzuordnende” Wirtschaft gehört.
Um unsere Gesellschaft lebendig zu halten sollten einige der beschlossenen Schließungen nochmals überarbeitet werden.
Sport
Ab dem 2.11.2020 werden der Freizeit- und Amateursportbetrieb mit Ausnahme des Individualsports allein, zu zweit oder im eigenen Hausstand auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen geschlossen. Die Schließung gilt auch für Schwimmbäder, Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen.
Sport ist wichtig für die Gesundheit. Gerade wenn die meisten Menschen ihren Alltag in der eigenen Wohnung verbringen sind Bewegungsmöglichkeiten umso wichtiger für den körperlichen Ausgleich, um sich fit zu halten, um Krankheiten vorzubeugen oder auch um sich mal abzureagieren. Im Gegensatz zum Lockdown im März kann man sich nun aber im Winter schlechter draußen bewegen.
Hier wäre es gut wenn Freizeitangebote soweit es das Wetter zulässt draußen mit ausreichendem Abstand und Sicherheitskonzept angeboten werden könnten. Auch könnte man für den Individualsport die Nutzung von Räumen ermöglichen, die man beispielsweise online buchen könnte. Auch wäre es vielleicht denkbar, wöchentliche Sportstunden zB in Sportvereinen weiter in kleineren Gruppen stattfinden zu lassen, sofern sichergestellt ist, dass immer nur die selben Personen teilnehmen.
Kultur
Theater, Opern, Konzerthäuser und ähnliche Einrichtungen werden ab dem 2.11.2020 geschlossen, ebenso wie Kinos, Freizeitparks und Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen). Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden untersagt; Profisportveranstaltungen können nur ohne Zuschauer stattfinden.
Carmen Wegge: “Ich finde es vor allem für die Künstler*innen sehr schwer. Erst keine gescheiten Hilfspakete, dann auch nur ganz eingeschränkt wieder Auftrittmöglichkeiten und jetzt wieder alles weg.”
Auch bei den Künstler*innen wäre daher eine Entschädigung von bis zu 75 % ihres letztjährigen Novembereinkommens angemessen. Auch längerfristig sollten Kommunen, Länder und Bund für die nächsten zwei Jahre verstärkt Förderprogramme aufsetzen, um gerade die Kleinkunstszene zu erhalten. Ohne Kunst und Kultur ist unsere Gesellschaft nicht denkbar. Es gilt daher, sie zu erhalten.
Gastronomie
Ab dem 2.11.2020 werden Gastronomiebetriebe sowie Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen geschlossen, ausgenommen ist die Lieferung und Abholung von Speisen für den Verzehr zuhause sowie der Betrieb von Kantinen.
Arda Celik: “Ich kann die Bedenken und Sorgen der Gastronomie nachvollziehen. In meiner Familie sind einige in der Gastro tätig und die haben sich die letzten Monate nochmal richtig für den Winter aufgerüstet …
Man muss bedenken sie müssen jetzt auf einen Schlag ihre Lebensmittel und Waren entsorgen. In der Vergangenheit hat man schon bereits viel in Desinfektionsmittel, Masken, Lüftungsanlagen, Wärmestrahler, Plexiglasscheiben usw. investiert und der Umsatz ist wegen der Pandemie so schon eingebrochen. Am Ende profitieren von der Situation wieder andere großen Konzerne, während die Gastronomie und die Kulturszene weiterhin mit Existenzängsten zu kämpfen hat…”
Wir begrüßen daher die vorgesehenen Entschädigungen.
Sicherheit durch Öffentlichkeit
Julia Lex: “Mich nervt am meisten, dass ich nicht verstehe, warum man alles wieder ins private bringt, dort können die Maßnahmen nicht in der Form kontrolliert werden, wie im öffentlichen Raum. Und das dadurch wieder Kultur und Gastro eingeschränkt wird, das leuchtet mir einfach nicht ein…”
Geöffnete Freizeiteinrichtungen können auch ein Garant für mehr Sicherheit sein. Gerade in der Öffentlichkeit können die erforderlichen Abstände und Sicherheitsmaßnahmen besser kontrolliert und dadurch besser eingehalten werden, als bei (illegalen) privaten Veranstaltungen zuhause. Da es nun in vielen Gaststätten und Museen ausreichende Sicherheitskonzepte gibt sollte eine Überprüfung im Einzelfall starten, ob nicht doch manche Betriebe und Einrichtungen ausreichende Sicherheitskonzepte haben und damit wieder öffnen können.
Recht auf Homeoffice
Angesichts der steigenden Infektionszahlen fordern Bund und Länder die Unternehmen eindringlich auf, Heimarbeit und mobiles Arbeiten zuhause zu ermöglichen.
Dies muss von den Unternehmen auch tatsächlich umgesetzt werden. Gerade durch unnötige Wege zur Arbeit und unnötigen persönlichen Kontakten in Betrieb und Büro liegt ein hohes Ansteckungsrisiko.Der Öffentliche Nahverkehr ist häufig noch immer überfüllt, insbesondere zu den Stoßzeiten war es kürzlich noch unmöglich die Abstände einzuhalten.
Geschäftsführer*innen sind gesetzlich jedoch dazu verpflichtet, in Angelegenheit der Gesellschaft die “Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns” anzuwenden. Dies bedeutet in erster Linie die Verpflichtung zur Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Grundsätze, also insbesondere der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des Unternehmens. Ein abweichendes Handeln kann zu Haftungsfragen führen.
Die Unternehmen sollten demnach in einer klaren gesetzlichen Regelung dazu verpflichtet werden, Heimarbeit und mobiles Arbeiten zuhause zu ermöglichen, soweit es möglich ist. Anwesenheitsverpflichtungen sind die Ausnahme und kritisch darauf zu überprüfen, ob sie wirklich erforderlich sind.
Schulen
Schulen und Kindergärten bleiben offen. Die Länder entscheiden über die erforderlichen Schutzmaßnahmen.
Alexej Preissler: “Ich bin heilfroh, dass diesmal die Schulen offen bleiben, das hätte sonst noch immense soziale Folgen gehabt. Außerdem kann man sich diesmal mit Menschen aus einem anderen Haushalt treffen, auch in Bayern; das war im März noch anders.
Man hat sich also schon bisschen Gedanken gemacht, wie man das abfedern kann.”
Trotzdem muss für Schüler*innen und Lehrkräfte jederzeit der bestmögliche Infektionsschutz gewährleistet sein.
Paul Werlich: “Die Maßnahmen in den Schulen sind völlig unzureichend. Die Klassen werden entgegen des Konzepts nicht geteilt, es gibt keine zuverlässigen Luftreinigungssysteme, stattdessen dürfen alle frieren, Seife und Desinfektionsmittel sind zu wenig da…
Unter diesen Umständen die Schulen offen zu lassen ist ein gigantisches Risiko.”
Daher ist es für uns Jusos besonders wichtig, uns hierfür dort stark zu machen, wo wir politisch mitbestimmen.
Alexej Preissler: “Ja, aber da haben wir als Münchner Jusos ja sogar etwas Einfluss. Wir könnten uns zum Beispiel stark machen dafür, dass die Stadt München als Sachaufwandsträger Klassenzimmer mit Luftreinigungssystemen ausstattet.”
Wohnen
Während dem Lockdown reduziert sich das Leben auf die eigene Wohnung – umso schlimmer wenn sich Viele angesichts steigender Mieten nur winzige Wohnungen leisten können, die oft baulich in miserablem Zustand sind, wenn nicht gerade luxussaniert wird.
Die Folgen der Krise sollen möglichst breit verteilt werden. Die Immobilienbranche ist derzeit trotz des Einbruchs der Wirtschaft im Zusammenhang mit der Coronapandemie eine der weiterhin intensiv boomenden Branchen, Kaufpreise für Häuser und Grundstücke sowie Mieten steigen noch immer. Dabei gehen die Gewinne zumeist auf Kapitalinvestitionen in Wohnraum zurück, der für die meisten Menschen als existenzielles Grundbedürfnis dadurch immer weniger bezahlbar wird.
Der coronabedingte kurzzeitige Kündigungsschutz für Mieter*innen muss wieder in Kraft gesetzt werden. Entsprechend der wirtschaftlichen Gesamtsituation ist eine Verlängerung zu prüfen, es kann nicht sein dass Menschen, die bereits ihren Job in der Krise verloren haben nun auch um ihre Wohnung fürchten müssen. Der Stundungszins für die Rückzahlung von gestundeten Mieten in Höhe von grundsätzlich 7% ist auf einen der aktuellen Niedrigzinslage angemessenen Betrag herabzusetzen.
Seija Knorr-Köning: “Yay und was ist mit denen, die seit Monaten in Kurzarbeit sind, die jetzt Wohngeld beantragen müssen? Über die redet wirklich niemand…”
Era Vorfa: “voll bei dir, da muss man nämlich weiterhin die volle Miete zahlen, die vollen Versicherungsbeiträge, etc. Ne kulante Geste wäre ja, wenn die Vermieter nur 60 bzw 67% der Miete bei weitergehendem Kurzarbeitergeld verlangen würden. 🤔”
Ein Mietenstopp oder sogar ein Mietendeckel infolge der Krisensituation wäre ein effektiver und für den Staat preisgünstiger Schutz für die vielen Menschen, die zur Miete wohnen. Denkbar wäre, dass die zu zahlende Nettomiete den Wert der Miete 2020 künftig nicht übersteigen darf. Dies könnte in Anlehnung an die Regelungen zur Bekämpfung der Wohnungsnot aus den 1950er Jahren sowohl bei Neuvermietungen als auch bei laufenden Mietverhältnissen gelten.
Finanzhilfen des Bundes
Für die von temporären Schließungen erfassten Unternehmen, Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen wird der Bund eine außerordentliche Wirtschaftshilfe gewähren, um sie für finanzielle Ausfälle zu entschädigen. Der Erstattungsbetrag beträgt 75% des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats für Unternehmen bis 50 Mitarbeitende, womit die Fixkosten des Unternehmens pauschaliert werden.
Diese Finanzhilfe wird ein Finanzvolumen bis 10 Mrd. € haben.
WIr begrüßen diese für viele Betriebe wesentliche Finanzhilfe. Mit berücksichtigt werden müssen neben den unmittelbar geschlossenen Einrichtungen aber auch die Betriebe, auf die sich die Schließungen auswirken wie zum Beispiel für die Reinigungskräfte.
Im Fall von Gewerbemieten ist zu prüfen, ob diese nicht im Zusammenhang mit coronabedingten Schließungen und Finanzhilfen des Bundes begrenzt werden können.
Parlamentsbeteiligung, Öffentlicher Diskurs
Das Virus ist gefährlich und sollte nicht unterschätzt werden. Dennoch gibt es viel zu viele Menschen, die nach wie vor ganz grundsätzlich gegen die getroffenen Maßnahmen kämpfen und Verschwörungstheorien anhängen. Dabei ist klar: eine Demokratie braucht die Debatte darüber, was richtig und falsch ist und wie die besten Lösungen aussehen sollen. Nur so kann es Akzeptanz für die getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen geben.
Auch die Möglichkeit ablehnendes Verhalten zu demonstrieren ist wichtig, es dürfen aber durch die Verweigerung von Sicherheitsmaßnahmen zum Beispiel auf Demonstrationen nicht andere Menschen gefährdet werden. Für uns ist zudem klar, dass das gemeinsame demonstrieren mit Nazis deren menschenverachtende Einstellung legitimiert und von uns weiterhin aufs schärfste verurteilt wird.
Zuerst müssen die bestehenden Institutionen, insbesondere die Parlamente, vor und bei wichtigen Entscheidungen einbezogen werden.
Eine weitere Lösung wäre zudem eine öffentliche Plattform, die nicht für Hass, Hetze und und Schlagzeilen genutzt wird, sondern für faire und konstruktive Debatten. Wenn wir es richtig angehen dann könnte diese Pandemie sogar eine Chance sein, durch Digitalisierung unsere Demokratie weiter zu verbessern.
Ein Beitrag vonJulia Worch