Zu wenige Betten, zu wenig Ärzt*innen, zu wenige Krankenschwestern*. Das ist seit einigen Wochen die Situation in Spanien und Italien. Neben der exponentiell gestiegenen Zahl der Infizierten, hat die Austerität eine Mitschuld an den mangelnden Kapazitäten und der daraus resultierenden hohen Todesrate in Italien und Spanien. Denn seit Jahrzenten aber insbesondere seit der Eurokrise wurde in Folge der Sparprogramme im Gesundheitswesen privatisiert und gekürzt.
#FlattentheCurve. Das ist das Motto, um die Pandemie bestmöglich zu überstehen. Doch wie konnte es dazu kommen, dass die Kurve so stark abgeflacht werden muss? Warum ist die Messlatte, welche die verfügbaren Intensivbetten darstellt und von der Zahl der Infizierten nicht überschritten werden darf, so niedrig? Wie kann es sein, dass es in Italien vor vierzig Jahren gemessen an der Einwohnerzahl fast vier Mal so viele Krankenhausbetten für besonders schwere Fälle gab wie heute, obwohl sich die Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum verfünffacht hat? Wie kann es sein, dass es in Frankreich vor vierzig Jahren gemessen an der Einwohnerzahl fast doppelt so viele Krankenhausbetten gab wie heute, obwohl sich auch hier die Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum verfünffacht hat?
Um das zu erklären, muss man sich frühere Wirtschaftspolitische Maßnahmen anschauen.
Nachdem 1929 die Weltwirtschaft kollabierte und mit der großen Depression die amerikanische Wirtschaft ihren Tiefpunkt erreichte, waren sich die US-Amerikaner*innen und Roosevelt einig: Deregulierung, freie Marktwirtschaft und schlechte Geldpolitik sind schuld am Leid der Bürger*innen und der Volkswirtschaft. Als Konsequenz ließ man 40 Prozent der Banken auflösen, führte die soziale Marktwirtschaft ein, ließ Kartelle verbieten, regulierte die Banken und änderte die Geldpolitik.
Doch seit den Siebzigern ist eine Kehrtwende vom New Deal in Richtung Neoliberalismus zu beobachten. Deregulierung, Kürzungen der Staatsausgaben, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und ein unkontrolliertes Wachstum zu jedem Preis stehen auf der politischen Agenda. Thatcher, Reagen, Blair oder Schröder sind Beispiele für diese Banker- und Arbeitgebernahe Politik. Die Konsequenzen hierzu spürten wir spätestens 2008, als abermals Überschuldung und die Deregulierung der Banken das Wirtschaftssystem einbrechen ließen. Infolge dieser globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, welche von den USA ausgegangen ist, gerieten einige Euro-Länder in eine ernsthafte Gefahr, ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen zu können. Als Reaktion auf die Finanz- und Eurokrise verfolgte man weder die Politik der freien Marktwirtschaft, in der man die Banken ihrem eigenen Schicksal überlassen würde, noch verfolgte man die Politik der sozialen Marktwirtschaft, in der die Interessen der Bürger im Vordergrund stehen und die Banken die Konsequenzen für ihre faulen Kredite tragen müssten. Die Regierungen wählten stattdessen den schlimmsten Weg:
Sie transferierten massiv öffentliche Gelder in den privaten Sektor. Deutschland, Irland, Großbritannien und die USA verstaatlichten Reihenweise Banken, um sie vor der Pleite zu schützen. Außerdem zwang man den überschuldeten Staaten wie Griechenland oder Spanien Kreditprogramme auf, die aus Steuergeldern finanziert werden. Diese Programme kamen jedoch nicht der Bevölkerung in den überschuldeten Ländern zu Gute, sondern unterstützten die dortigen Regierungen bei der Rückzahlung ihrer Kredite an die Banken. Also wurde die deutsche Bankenrettung, die 2009 das letzte Mal angewandt werden sollte, über einen Umweg über Griechenland, Spanien, Irland und Portugal konsequent fortgesetzt. Aufgrund dieser hohen Ausgaben musste aber nun gespart werden. Man zwang die überschuldeten Staaten zu Sparmaßnahmen, welche starke Einschnitte im Leben der Menschen bewirkt haben. Rentenkürzungen, Senkung der Sozialhilfen und weniger staatliche Investitionen. Letztere betraf auch das Gesundheitssystem. Allein in Griechenland, wurde das Personal im Gesundheitswesen halbiert. In Italien wurden 15 Prozent der Krankenhäuser geschlossen und auch in Spanien senkte man die Ausgaben für das Gesundheitssystem allein 2012 um fast sechs Prozent.
Austerität. Eine Wirtschaftspolitik, welche vielen zum Verhängnis wurde. „Soziale Belange würden das Wachstum hemmen“, sagte die EZB. Doch in der aktuellen Situation sehen wir, dass eben diese sozialen Belange Menschenleben retten können. Auch in Deutschland hat die Bertelsmann-Stiftung, welche maßgeblich an der neoliberalen Agenda 2010 beteiligt war, gefordert, dass mehr als die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland geschlossen werden sollen, um die Gesundheitsversorgung „effizienter“ zu gestalten. Doch laut Christian Bernreiter (CDU), hat genau die Vielzahl vieler kleiner Kliniken den Vorteil, dass diese zu Covid 19-Häusern umgewandelt werden konnten und die Patienten gut voneinander getrennt waren. Dennoch hat man in Deutschland infolge der Privatisierungswelle von Krankenhäusern einen Versuch der Effizienzsteigerung erlebt. Diese ging dann auf Lasten der Ärzte, Krankenschwestern und Patienten. Mit noch weniger Personal müssen Ärzt*innen noch mehr Patienten heilen. In dessen Folge müssen in Deutschland zu Zeiten von Corona noch nicht fertig ausgebildete Medizinstudenten in die Krankenhäuser. Außerdem berichten Ärzt*innen von doppelten Schichten und enormen psychischen Druck (solche Berichte gab es bereits auch vor Corona). Aufgrund der hohen Krankenhausdichte können wir die Situation noch bändigen. In anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Spanien oder Italien verzeichnen wir aber in Folge der Einsparungen eine Sterberate von 10 bis 14 Prozent. Die Gesundheitsversorgung muss spätestens nach der Corona Krise verstaatlicht werden. Die Gesundheit darf nicht weiterhin Spielball von Spekulant*innen und Investor*innen sein, sondern muss präventiv arbeiten und für gute wie für schlechte Zeiten, stets genug Betten und Ärzt*innen anbieten können. Effizienz darf nicht mehr über menschlichen Grundbedürfnissen stehen. Unsere Systemrelevante Gesundheitsversorgung muss dem Markt entzogen werden und die Gesundheitspolitik darf sollte weder von den Banken, noch von neoliberalen Institutionen, wie der Bertelsmann-Stiftung beeinflusst werden.
Jedoch wird die Situation der Gesundheitssysteme von den Medien nicht hinterfragt. Stattdessen wird sie als selbstverständlich wahrgenommen und Diskussionen werden um die ethische Frage, wen man in der Ausnahmesituation retten soll und wen nicht, geführt.
Deshalb ist es unsere Aufgabe eine gesellschaftliche Debatte zur Lage des Gesundheitsystems zu eröffnen, um auf dessen Lage aufmerksam zu machen. Wir müssen uns dafür einsetzen,das Gesundheitssystem anstatt von Banken oder Fluggesellschaften zu verstaatlichen. Wir müssen uns dafür einsetzen, die Wörter Verstaatlichung und Genossenschaft, die stets mit Nordkorea, DDR und Stalin verbunden werden, positiver zu besetzen, da sie nur Kritik aufrufen, wenn man BMW in guten Zeiten demokratisieren möchte.